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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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Zwey hundert Maximen
müssen aus dieser Kraft aufgelöset werden, und
über solche besitzet er nichts mmehr. Wollte man
nun sagen, er mißbrauche sich seiner Kraft:
So hat der erschaffene Geist keine aparte Kraft
über die anerschaffene, dadurch er sich eines
Dinges mißbrauchen könnte. Eigentlich also
mißbraucht er seine Kraft niemals; aber es kann
wol solche nicht hinreichend seyn, dasjenige zu
prästiren, was er prästiren würde, wenn er mehr
Kraft hätte.
CXLV. Spräche man also: Der erschaffe-
ne Geist hat in dem oder jenem unrecht gethan:
So läßt sich solches nur in Verhältniß gegen
andere Wesen sagen, die nämlich, wenn sie mehr
Kräfte gehabt, auch anders würden gedacht und
gethan haben. Wollte man aber sagen, er ha-
be sich nicht durch die anerschaffene Kraft die-
ser und jener Dinge unrecht gebraucht, sondern
durch seine eigene Schuld: So müßte man zu-
vörderst annehmen, daß der erschaffene Geist
annoch über die anerschaffene Kraft eine be-
sondere eigene habe, die ihm zur Schuld ange-
rechnet werden könne. Da aber dieses ohn-
möglich: So folget eben daraus, daß es lauter
Reden ohne richtigen Begriff sind, wenn man
ein so langes und breites bisher von der Freyheit,
und deren Mißbrauch, von Selbstverschuldung,
von Selbstverderbung, oder daß ein Geschöpfe
sich selber habe frevelhaft verdorben, und andern
solchen Alfanzereyen, geschwätzet. Wer aber
der Wahrheit einen rechten Geschmack ab-
gewinnet,
Zwey hundert Maximen
muͤſſen aus dieſer Kraft aufgeloͤſet werden, und
uͤber ſolche beſitzet er nichts m̃ehr. Wollte man
nun ſagen, er mißbrauche ſich ſeiner Kraft:
So hat der erſchaffene Geiſt keine aparte Kraft
uͤber die anerſchaffene, dadurch er ſich eines
Dinges mißbrauchen koͤnnte. Eigentlich alſo
mißbraucht er ſeine Kraft niemals; aber es kann
wol ſolche nicht hinreichend ſeyn, dasjenige zu
praͤſtiren, was er praͤſtiren wuͤrde, wenn er mehr
Kraft haͤtte.
CXLV. Spraͤche man alſo: Der erſchaffe-
ne Geiſt hat in dem oder jenem unrecht gethan:
So laͤßt ſich ſolches nur in Verhaͤltniß gegen
andere Weſen ſagen, die naͤmlich, wenn ſie mehr
Kraͤfte gehabt, auch anders wuͤrden gedacht und
gethan haben. Wollte man aber ſagen, er ha-
be ſich nicht durch die anerſchaffene Kraft die-
ſer und jener Dinge unrecht gebraucht, ſondern
durch ſeine eigene Schuld: So muͤßte man zu-
voͤrderſt annehmen, daß der erſchaffene Geiſt
annoch uͤber die anerſchaffene Kraft eine be-
ſondere eigene habe, die ihm zur Schuld ange-
rechnet werden koͤnne. Da aber dieſes ohn-
moͤglich: So folget eben daraus, daß es lauter
Reden ohne richtigen Begriff ſind, wenn man
ein ſo langes und breites bisher von der Freyheit,
und deren Mißbrauch, von Selbſtverſchuldung,
von Selbſtverderbung, oder daß ein Geſchoͤpfe
ſich ſelber habe frevelhaft verdorben, und andern
ſolchen Alfanzereyen, geſchwaͤtzet. Wer aber
der Wahrheit einen rechten Geſchmack ab-
gewinnet,
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[228/0236] Zwey hundert Maximen muͤſſen aus dieſer Kraft aufgeloͤſet werden, und uͤber ſolche beſitzet er nichts m̃ehr. Wollte man nun ſagen, er mißbrauche ſich ſeiner Kraft: So hat der erſchaffene Geiſt keine aparte Kraft uͤber die anerſchaffene, dadurch er ſich eines Dinges mißbrauchen koͤnnte. Eigentlich alſo mißbraucht er ſeine Kraft niemals; aber es kann wol ſolche nicht hinreichend ſeyn, dasjenige zu praͤſtiren, was er praͤſtiren wuͤrde, wenn er mehr Kraft haͤtte. CXLV. Spraͤche man alſo: Der erſchaffe- ne Geiſt hat in dem oder jenem unrecht gethan: So laͤßt ſich ſolches nur in Verhaͤltniß gegen andere Weſen ſagen, die naͤmlich, wenn ſie mehr Kraͤfte gehabt, auch anders wuͤrden gedacht und gethan haben. Wollte man aber ſagen, er ha- be ſich nicht durch die anerſchaffene Kraft die- ſer und jener Dinge unrecht gebraucht, ſondern durch ſeine eigene Schuld: So muͤßte man zu- voͤrderſt annehmen, daß der erſchaffene Geiſt annoch uͤber die anerſchaffene Kraft eine be- ſondere eigene habe, die ihm zur Schuld ange- rechnet werden koͤnne. Da aber dieſes ohn- moͤglich: So folget eben daraus, daß es lauter Reden ohne richtigen Begriff ſind, wenn man ein ſo langes und breites bisher von der Freyheit, und deren Mißbrauch, von Selbſtverſchuldung, von Selbſtverderbung, oder daß ein Geſchoͤpfe ſich ſelber habe frevelhaft verdorben, und andern ſolchen Alfanzereyen, geſchwaͤtzet. Wer aber der Wahrheit einen rechten Geſchmack ab- gewinnet,

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/236>, abgerufen am 25.11.2024.