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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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Zwey hundert Maximen
liäner hält viel auf verdeckte Schönheit der Ge-
danken. Der Deutsche hat den Geschmack
gleichsam in seiner Hand, nachdem er durch gu-
ten Unterricht abgerichtet ist, oder große Vor-
gänger
findet, denen er gerne nachahmet.
CXIV. Man muß Deutschland, sonderlich
in Ober- und Nieder-Sachsen, den Ruhm las-
sen, daß es, seit einer Zeit von etwa zwanzig
Jahren,
viel witzige Köpfe hervorgebracht, die
einen ausnehmenden Geschmack in allen schönen
Wissenschaften, sonderlich der Beredsamkeit und
Poesie, von sich blicken lassen.
CXV. Hamburg und Leipzig sind zwey
Werkstäte in Deutschland, da der reine Ge-
schmack hoch gebracht, und von den ehemaligen
Mängeln sehr gereiniget worden. Die Poesie
und Redner-Kunst scheinet an beyden Orten den
Gipfel der Vollkommenheit erreicht zu haben.
CXVI. Feine Satyren haben einen großen
Eingang, edle Gemüther vor solchen Foiblessen
des Gemüths zu verwahren, die an andern mit
scharfsinnigem Nachdrucke gestrafet worden;
und ein edles Gemüthe, das sich durch solche Sa-
tyren getroffen findet, ist so weit entfernet, sich
darüber zu entrüsten, daß es vielmehr seinen Geg-
nern verbunden ist, die mit ihm so umgehen, als
ein kluger Jngenieur, der dem Commendanten
einer Vestung anzeiget, wo sie ihre Schwäche
habe. Denn dadurch lernet er, sie von dieser
Seite desto besser zu verschanzen, und gegen den
feindlichen Angriff vester zu verwahren.
CXVII.
Zwey hundert Maximen
liaͤner haͤlt viel auf verdeckte Schoͤnheit der Ge-
danken. Der Deutſche hat den Geſchmack
gleichſam in ſeiner Hand, nachdem er durch gu-
ten Unterricht abgerichtet iſt, oder große Vor-
gaͤnger
findet, denen er gerne nachahmet.
CXIV. Man muß Deutſchland, ſonderlich
in Ober- und Nieder-Sachſen, den Ruhm laſ-
ſen, daß es, ſeit einer Zeit von etwa zwanzig
Jahren,
viel witzige Koͤpfe hervorgebracht, die
einen ausnehmenden Geſchmack in allen ſchoͤnen
Wiſſenſchaften, ſonderlich der Beredſamkeit und
Poeſie, von ſich blicken laſſen.
CXV. Hamburg und Leipzig ſind zwey
Werkſtaͤte in Deutſchland, da der reine Ge-
ſchmack hoch gebracht, und von den ehemaligen
Maͤngeln ſehr gereiniget worden. Die Poeſie
und Redner-Kunſt ſcheinet an beyden Orten den
Gipfel der Vollkommenheit erreicht zu haben.
CXVI. Feine Satyren haben einen großen
Eingang, edle Gemuͤther vor ſolchen Foibleſſen
des Gemuͤths zu verwahren, die an andern mit
ſcharfſinnigem Nachdrucke geſtrafet worden;
und ein edles Gemuͤthe, das ſich durch ſolche Sa-
tyren getroffen findet, iſt ſo weit entfernet, ſich
daruͤber zu entruͤſten, daß es vielmehr ſeinen Geg-
nern verbunden iſt, die mit ihm ſo umgehen, als
ein kluger Jngenieur, der dem Commendanten
einer Veſtung anzeiget, wo ſie ihre Schwaͤche
habe. Denn dadurch lernet er, ſie von dieſer
Seite deſto beſſer zu verſchanzen, und gegen den
feindlichen Angriff veſter zu verwahren.
CXVII.
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[214/0222] Zwey hundert Maximen liaͤner haͤlt viel auf verdeckte Schoͤnheit der Ge- danken. Der Deutſche hat den Geſchmack gleichſam in ſeiner Hand, nachdem er durch gu- ten Unterricht abgerichtet iſt, oder große Vor- gaͤnger findet, denen er gerne nachahmet. CXIV. Man muß Deutſchland, ſonderlich in Ober- und Nieder-Sachſen, den Ruhm laſ- ſen, daß es, ſeit einer Zeit von etwa zwanzig Jahren, viel witzige Koͤpfe hervorgebracht, die einen ausnehmenden Geſchmack in allen ſchoͤnen Wiſſenſchaften, ſonderlich der Beredſamkeit und Poeſie, von ſich blicken laſſen. CXV. Hamburg und Leipzig ſind zwey Werkſtaͤte in Deutſchland, da der reine Ge- ſchmack hoch gebracht, und von den ehemaligen Maͤngeln ſehr gereiniget worden. Die Poeſie und Redner-Kunſt ſcheinet an beyden Orten den Gipfel der Vollkommenheit erreicht zu haben. CXVI. Feine Satyren haben einen großen Eingang, edle Gemuͤther vor ſolchen Foibleſſen des Gemuͤths zu verwahren, die an andern mit ſcharfſinnigem Nachdrucke geſtrafet worden; und ein edles Gemuͤthe, das ſich durch ſolche Sa- tyren getroffen findet, iſt ſo weit entfernet, ſich daruͤber zu entruͤſten, daß es vielmehr ſeinen Geg- nern verbunden iſt, die mit ihm ſo umgehen, als ein kluger Jngenieur, der dem Commendanten einer Veſtung anzeiget, wo ſie ihre Schwaͤche habe. Denn dadurch lernet er, ſie von dieſer Seite deſto beſſer zu verſchanzen, und gegen den feindlichen Angriff veſter zu verwahren. CXVII.

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/222>, abgerufen am 28.04.2024.