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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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Zwey hundert Maximen
LXXIX. Scharfsinnige Jnsinuationen, und
was man das Zärtliche und Galante nennet,
reizen den Geschmack ungemein, sonderlich in
Briefen. Daher die Briefe eines Voltaire,
Balzacs, Bourseaults etc.
und anderer großen
beaux Esprits, alle Talanders, Menantes und
dergleichen Briefsteller weit an gutem Geschmak-
ke
übertreffen.
LXXX. Wenn einer merket, daß man einem
andern die feinen Gedanken abgestohlen, oder
wenigstens ohne einige Veränderung abgeborget
habe: So verlieren solche einen großen Theil
der Annehmlichkeit,
den sie behalten würden,
wenn man dächte, der Autor habe sie aus dem
eigenen Schatze guter Gedanken hervorgelanget.
LXXXI. Die meisten Oratorischen Figu-
ren
haben ihren eigenen bestimmten Sitz. Wenn
man sie aus ihrer Stelle verrücket, wie auf
Schulen geschiehet, da öfters Jmitationen auf
ganz widrige obiecta aufgegeben werden, ver-
liehren
sie allen bon sens.
LXXXII. So lassen sich z. E. viel oratorische
Figuren, welche bey traurigen Begebenheiten
glücklich angebracht werden, nicht ohne Gefahr,
ins Lächerliche zu verfallen, bey fröhlichen Be-
gebenheiten anbringen. Die Spötter aber
verdrehens, und wenn sie einen lächerlich
machen wollen, parodiren sie die traurigen Fi-
guren
auf Schnaken und Kurzweile; da denn
das Lächerliche bloß in ihrer verkehrten Paro-
dirung
oder Nachahmung stecket.
LXXXIII.
Zwey hundert Maximen
LXXIX. Scharfſinnige Jnſinuationen, und
was man das Zaͤrtliche und Galante nennet,
reizen den Geſchmack ungemein, ſonderlich in
Briefen. Daher die Briefe eines Voltaire,
Balzacs, Bourſeaults ꝛc.
und anderer großen
beaux Eſprits, alle Talanders, Menantes und
dergleichen Briefſteller weit an gutem Geſchmak-
ke
uͤbertreffen.
LXXX. Wenn einer merket, daß man einem
andern die feinen Gedanken abgeſtohlen, oder
wenigſtens ohne einige Veraͤnderung abgeborget
habe: So verlieren ſolche einen großen Theil
der Annehmlichkeit,
den ſie behalten wuͤrden,
wenn man daͤchte, der Autor habe ſie aus dem
eigenen Schatze guter Gedanken hervorgelanget.
LXXXI. Die meiſten Oratoriſchen Figu-
ren
haben ihren eigenen beſtimmten Sitz. Wenn
man ſie aus ihrer Stelle verruͤcket, wie auf
Schulen geſchiehet, da oͤfters Jmitationen auf
ganz widrige obiecta aufgegeben werden, ver-
liehren
ſie allen bon ſens.
LXXXII. So laſſen ſich z. E. viel oratoriſche
Figuren, welche bey traurigen Begebenheiten
gluͤcklich angebracht werden, nicht ohne Gefahr,
ins Laͤcherliche zu verfallen, bey froͤhlichen Be-
gebenheiten anbringen. Die Spoͤtter aber
verdrehens, und wenn ſie einen laͤcherlich
machen wollen, parodiren ſie die traurigen Fi-
guren
auf Schnaken und Kurzweile; da denn
das Laͤcherliche bloß in ihrer verkehrten Paro-
dirung
oder Nachahmung ſtecket.
LXXXIII.
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[206/0214] Zwey hundert Maximen LXXIX. Scharfſinnige Jnſinuationen, und was man das Zaͤrtliche und Galante nennet, reizen den Geſchmack ungemein, ſonderlich in Briefen. Daher die Briefe eines Voltaire, Balzacs, Bourſeaults ꝛc. und anderer großen beaux Eſprits, alle Talanders, Menantes und dergleichen Briefſteller weit an gutem Geſchmak- ke uͤbertreffen. LXXX. Wenn einer merket, daß man einem andern die feinen Gedanken abgeſtohlen, oder wenigſtens ohne einige Veraͤnderung abgeborget habe: So verlieren ſolche einen großen Theil der Annehmlichkeit, den ſie behalten wuͤrden, wenn man daͤchte, der Autor habe ſie aus dem eigenen Schatze guter Gedanken hervorgelanget. LXXXI. Die meiſten Oratoriſchen Figu- ren haben ihren eigenen beſtimmten Sitz. Wenn man ſie aus ihrer Stelle verruͤcket, wie auf Schulen geſchiehet, da oͤfters Jmitationen auf ganz widrige obiecta aufgegeben werden, ver- liehren ſie allen bon ſens. LXXXII. So laſſen ſich z. E. viel oratoriſche Figuren, welche bey traurigen Begebenheiten gluͤcklich angebracht werden, nicht ohne Gefahr, ins Laͤcherliche zu verfallen, bey froͤhlichen Be- gebenheiten anbringen. Die Spoͤtter aber verdrehens, und wenn ſie einen laͤcherlich machen wollen, parodiren ſie die traurigen Fi- guren auf Schnaken und Kurzweile; da denn das Laͤcherliche bloß in ihrer verkehrten Paro- dirung oder Nachahmung ſtecket. LXXXIII.

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/214>, abgerufen am 27.04.2024.