Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.vom gesunden Witze, etc. sen Herrn redet, handelt gegen den guten Ge-schmack, wenn er schulfüchsische Chrien, und Realien des oratorischen Schlendrians, oder der Gymnasiasten Schwätze-Kunst einstreuet. Sein Vortrag muß so abgefaßt seyn, wie sein hoher Principal, seinem Character gemäß, selbst reden würde. Daher bedürften die gesammle- ten Reden großer Herren und vornehmer Mi- nister in sehr vielen Stellen einer Verbesserung; dagegen in denen Mercurs, so in Holland sonst herausgekommen, viel Meisterstücke eines bon sens vorkommen, und werth wären, daß aus allen hundert Bänden eine deutsche Uebersetzung derer darinn eingerückten merkwürdigsten Ha- ranguen von einem, der der französischen und deutschen Sprache gleichmächtig wäre, unter- nommen würde. LXXVII. Das Ceremoniel und die behöri- gen Titulaturen muß ein Gesandter, ja ein je- der Redner und Scribent, wohl inacht nehmen, sonst man ihm einen unrichtigen Geschmack beylegen wird. LXXVIII. Die angebrachten verdeckten Schönheiten, oder solche scharfsinnige wohlge- setzte Gedanken, dabey man dem Leser oder Zu- hörer zutrauet, solche durch eigenes Nachsinnen entdecken und auflösen zu können, gehören zu dem reizenden Geschmacke in allen Wissen- schaften. Daher werden rechte bons- mots hochgeachtet, weil der andere dadurch heimlich flattirt wird, daß er einen großen Witz besitze, solche geschwind und glücklich zu errathen. LXXIX.
vom geſunden Witze, ꝛc. ſen Herrn redet, handelt gegen den guten Ge-ſchmack, wenn er ſchulfuͤchſiſche Chrien, und Realien des oratoriſchen Schlendrians, oder der Gymnaſiaſten Schwaͤtze-Kunſt einſtreuet. Sein Vortrag muß ſo abgefaßt ſeyn, wie ſein hoher Principal, ſeinem Character gemaͤß, ſelbſt reden wuͤrde. Daher beduͤrften die geſammle- ten Reden großer Herren und vornehmer Mi- niſter in ſehr vielen Stellen einer Verbeſſerung; dagegen in denen Mercurs, ſo in Holland ſonſt herausgekommen, viel Meiſterſtuͤcke eines bon ſens vorkommen, und werth waͤren, daß aus allen hundert Baͤnden eine deutſche Ueberſetzung derer darinn eingeruͤckten merkwuͤrdigſten Ha- ranguen von einem, der der franzoͤſiſchen und deutſchen Sprache gleichmaͤchtig waͤre, unter- nommen wuͤrde. LXXVII. Das Ceremoniel und die behoͤri- gen Titulaturen muß ein Geſandter, ja ein je- der Redner und Scribent, wohl inacht nehmen, ſonſt man ihm einen unrichtigen Geſchmack beylegen wird. LXXVIII. Die angebrachten verdeckten Schoͤnheiten, oder ſolche ſcharfſinnige wohlge- ſetzte Gedanken, dabey man dem Leſer oder Zu- hoͤrer zutrauet, ſolche durch eigenes Nachſinnen entdecken und aufloͤſen zu koͤnnen, gehoͤren zu dem reizenden Geſchmacke in allen Wiſſen- ſchaften. Daher werden rechte bons- mots hochgeachtet, weil der andere dadurch heimlich flattirt wird, daß er einen großen Witz beſitze, ſolche geſchwind und gluͤcklich zu errathen. LXXIX.
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Realien des oratoriſchen Schlendrians, oder
der Gymnaſiaſten Schwaͤtze-Kunſt einſtreuet.
Sein Vortrag muß ſo abgefaßt ſeyn, wie ſein
hoher Principal, ſeinem Character gemaͤß, ſelbſt
reden wuͤrde. Daher beduͤrften die geſammle-
ten Reden großer Herren und vornehmer Mi-
niſter in ſehr vielen Stellen einer Verbeſſerung;
dagegen in denen Mercurs, ſo in Holland ſonſt
herausgekommen, viel Meiſterſtuͤcke eines bon
ſens vorkommen, und werth waͤren, daß aus
allen hundert Baͤnden eine deutſche Ueberſetzung
derer darinn eingeruͤckten merkwuͤrdigſten Ha-
ranguen von einem, der der franzoͤſiſchen und
deutſchen Sprache gleichmaͤchtig waͤre, unter-
nommen wuͤrde.
LXXVII. Das Ceremoniel und die behoͤri-
gen Titulaturen muß ein Geſandter, ja ein je-
der Redner und Scribent, wohl inacht nehmen,
ſonſt man ihm einen unrichtigen Geſchmack
beylegen wird.
LXXVIII. Die angebrachten verdeckten
Schoͤnheiten, oder ſolche ſcharfſinnige wohlge-
ſetzte Gedanken, dabey man dem Leſer oder Zu-
hoͤrer zutrauet, ſolche durch eigenes Nachſinnen
entdecken und aufloͤſen zu koͤnnen, gehoͤren zu
dem reizenden Geſchmacke in allen Wiſſen-
ſchaften. Daher werden rechte bons- mots
hochgeachtet, weil der andere dadurch heimlich
flattirt wird, daß er einen großen Witz beſitze,
ſolche geſchwind und gluͤcklich zu errathen.
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Zitationshilfe: | Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/213>, abgerufen am 16.02.2025. |