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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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Vorzug der kriechenden Poesie
ihn. Sie können nicht wahre Freunde seyn,
sondern einer wird den andern bey Gelegenheit
einhauen und verfuchsschwänzen. Keine Lobes-
Erhebung des andern wird ihm von Herzen ge-
hen; sondern wo der andere höher am Stande,
flattirt er ihm wol mit Worten, aber im Herzen
hat er das Lob-Gedichte auf sich selbst gemacht;
er hat sich selber abgeschildert, und kützelt sich
heimlich, daß der andere, auf den die poetischen
Schmeicheleyen äusserlich gemünzet sind, solche
auf sich deutet. Doch manchmal lobt ein Ehr-
geiziger den andern,
damit er von jenem desto
mehr wieder herausgestrichen werde.

§ 13. Ein kriechender Poete ist dem Haß
und Neide anderer nimmer so ausgesetzet, als
ein erhabener. Denn eben das ärgert einen
Ehrgeizigen, wenn sich ein anderer über ihn er-
hebet, da er doch meynet, das Recht zu haben,
weit über ihn zu sitzen. Der Eigendünkel al-
so, da jeder seine eigene Größe nach dem ver-
größerten Maaß-Stabe,
des andern aber nach
dem verjüngten ausmisset, beweget ihn, daß er
gleichsam bey sich spricht: Was willst du,
Kerl, dich doch mit mir in Vergleichung stel-
len? Jch bin ja ein weit größerer Poete,
und in allem weit qualificirter, als du! Her-
unter mit dir, laß mir die Oberstelle; denn
solche gehöret mir von Rechtswegen.
Sei-
ne eigene Vollkommenheiten kommen ihm also
unter dem Vergrößerungs-Glase der Eigen-
liebe,
womit er solche betrachtet, nothwendig

größer

Vorzug der kriechenden Poeſie
ihn. Sie koͤnnen nicht wahre Freunde ſeyn,
ſondern einer wird den andern bey Gelegenheit
einhauen und verfuchsſchwaͤnzen. Keine Lobes-
Erhebung des andern wird ihm von Herzen ge-
hen; ſondern wo der andere hoͤher am Stande,
flattirt er ihm wol mit Worten, aber im Herzen
hat er das Lob-Gedichte auf ſich ſelbſt gemacht;
er hat ſich ſelber abgeſchildert, und kuͤtzelt ſich
heimlich, daß der andere, auf den die poetiſchen
Schmeicheleyen aͤuſſerlich gemuͤnzet ſind, ſolche
auf ſich deutet. Doch manchmal lobt ein Ehr-
geiziger den andern,
damit er von jenem deſto
mehr wieder herausgeſtrichen werde.

§ 13. Ein kriechender Poete iſt dem Haß
und Neide anderer nimmer ſo ausgeſetzet, als
ein erhabener. Denn eben das aͤrgert einen
Ehrgeizigen, wenn ſich ein anderer uͤber ihn er-
hebet, da er doch meynet, das Recht zu haben,
weit uͤber ihn zu ſitzen. Der Eigenduͤnkel al-
ſo, da jeder ſeine eigene Groͤße nach dem ver-
groͤßerten Maaß-Stabe,
des andern aber nach
dem verjuͤngten ausmiſſet, beweget ihn, daß er
gleichſam bey ſich ſpricht: Was willſt du,
Kerl, dich doch mit mir in Vergleichung ſtel-
len? Jch bin ja ein weit groͤßerer Poete,
und in allem weit qualificirter, als du! Her-
unter mit dir, laß mir die Oberſtelle; denn
ſolche gehoͤret mir von Rechtswegen.
Sei-
ne eigene Vollkommenheiten kommen ihm alſo
unter dem Vergroͤßerungs-Glaſe der Eigen-
liebe,
womit er ſolche betrachtet, nothwendig

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[136/0144] Vorzug der kriechenden Poeſie ihn. Sie koͤnnen nicht wahre Freunde ſeyn, ſondern einer wird den andern bey Gelegenheit einhauen und verfuchsſchwaͤnzen. Keine Lobes- Erhebung des andern wird ihm von Herzen ge- hen; ſondern wo der andere hoͤher am Stande, flattirt er ihm wol mit Worten, aber im Herzen hat er das Lob-Gedichte auf ſich ſelbſt gemacht; er hat ſich ſelber abgeſchildert, und kuͤtzelt ſich heimlich, daß der andere, auf den die poetiſchen Schmeicheleyen aͤuſſerlich gemuͤnzet ſind, ſolche auf ſich deutet. Doch manchmal lobt ein Ehr- geiziger den andern, damit er von jenem deſto mehr wieder herausgeſtrichen werde. § 13. Ein kriechender Poete iſt dem Haß und Neide anderer nimmer ſo ausgeſetzet, als ein erhabener. Denn eben das aͤrgert einen Ehrgeizigen, wenn ſich ein anderer uͤber ihn er- hebet, da er doch meynet, das Recht zu haben, weit uͤber ihn zu ſitzen. Der Eigenduͤnkel al- ſo, da jeder ſeine eigene Groͤße nach dem ver- groͤßerten Maaß-Stabe, des andern aber nach dem verjuͤngten ausmiſſet, beweget ihn, daß er gleichſam bey ſich ſpricht: Was willſt du, Kerl, dich doch mit mir in Vergleichung ſtel- len? Jch bin ja ein weit groͤßerer Poete, und in allem weit qualificirter, als du! Her- unter mit dir, laß mir die Oberſtelle; denn ſolche gehoͤret mir von Rechtswegen. Sei- ne eigene Vollkommenheiten kommen ihm alſo unter dem Vergroͤßerungs-Glaſe der Eigen- liebe, womit er ſolche betrachtet, nothwendig groͤßer

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/144>, abgerufen am 03.05.2024.