Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite

vor der erhabenen Dichterey.
seines Bathos für einen Longinischen Berg-
Pallast
ansehen wollte. Er kann wol eine in-
nige Zufriedenheit mit seinem niedrigen Stande
haben; er kann sich selber gefallen, daß er so
poßirlich kriechet; aber er kann sich doch und
wird sich nicht einbilden, er stehe auf dem Gipfel
des Helicons,
und rufe von da herunter: Nun
sehet alle auf mich!
Ein kriechender Poete hat
hiernächst diesen Vortheil, daß er bey Gott und
Menschen nicht leicht so verhaßt werden kann,
als ein erhabener, der sich in seiner Größe, so
zu sagen, nicht selber fassen noch überschauen
kann. Die Religion ist ihnen feind. Der
Schöpfer hat einen Gräuel an solchen Ueber-
müthigen
und Aufgeblasenen. Er läßt sie an-
laufen, daß sie von ihrer eingebildeten Höhe in
eine wahrhafte Tiefe des Elendes verfallen.
Er überlässet sie manchmal dem Schwindel ih-
rer Gedanken, bis sie rücklings einen jählingen
Sturz in den Abgrund thun. Er lässet gesche-
hen, daß sie so offenbare Sottisen manchmal
begehen, daß selbst die kriechende Poeten sie her-
nach nicht einmal unter sich leiden wollen, weil
sie vorher von diesen Stolzen über die Achsel an-
gesehen und für nichts gehalten worden. Ein
hochmüthiger Poete kann auch einen andern
hochmüthigen nicht einmal neben sich, geschwei-
ge über sich, vertragen. Daher ist unter zwey
erhabenen Poeten
ordentlich heimliche Piquan-
terie. Einer macht den andern herunter, und
setzt sich, wenigstens in Gedanken, weit über

ihn.
J 4

vor der erhabenen Dichterey.
ſeines Bathos fuͤr einen Longiniſchen Berg-
Pallaſt
anſehen wollte. Er kann wol eine in-
nige Zufriedenheit mit ſeinem niedrigen Stande
haben; er kann ſich ſelber gefallen, daß er ſo
poßirlich kriechet; aber er kann ſich doch und
wird ſich nicht einbilden, er ſtehe auf dem Gipfel
des Helicons,
und rufe von da herunter: Nun
ſehet alle auf mich!
Ein kriechender Poete hat
hiernaͤchſt dieſen Vortheil, daß er bey Gott und
Menſchen nicht leicht ſo verhaßt werden kann,
als ein erhabener, der ſich in ſeiner Groͤße, ſo
zu ſagen, nicht ſelber faſſen noch uͤberſchauen
kann. Die Religion iſt ihnen feind. Der
Schoͤpfer hat einen Graͤuel an ſolchen Ueber-
muͤthigen
und Aufgeblaſenen. Er laͤßt ſie an-
laufen, daß ſie von ihrer eingebildeten Hoͤhe in
eine wahrhafte Tiefe des Elendes verfallen.
Er uͤberlaͤſſet ſie manchmal dem Schwindel ih-
rer Gedanken, bis ſie ruͤcklings einen jaͤhlingen
Sturz in den Abgrund thun. Er laͤſſet geſche-
hen, daß ſie ſo offenbare Sottiſen manchmal
begehen, daß ſelbſt die kriechende Poeten ſie her-
nach nicht einmal unter ſich leiden wollen, weil
ſie vorher von dieſen Stolzen uͤber die Achſel an-
geſehen und fuͤr nichts gehalten worden. Ein
hochmuͤthiger Poete kann auch einen andern
hochmuͤthigen nicht einmal neben ſich, geſchwei-
ge uͤber ſich, vertragen. Daher iſt unter zwey
erhabenen Poeten
ordentlich heimliche Piquan-
terie. Einer macht den andern herunter, und
ſetzt ſich, wenigſtens in Gedanken, weit uͤber

ihn.
J 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0143" n="135"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">vor der erhabenen Dichterey.</hi></fw><lb/>
&#x017F;eines Bathos fu&#x0364;r einen <hi rendition="#fr">Longini&#x017F;chen Berg-<lb/>
Palla&#x017F;t</hi> an&#x017F;ehen wollte. Er kann wol eine in-<lb/>
nige <hi rendition="#fr">Zufriedenheit</hi> mit &#x017F;einem niedrigen Stande<lb/>
haben; er kann &#x017F;ich &#x017F;elber <hi rendition="#fr">gefallen,</hi> daß er &#x017F;o<lb/>
poßirlich kriechet; aber er kann &#x017F;ich doch und<lb/>
wird &#x017F;ich nicht einbilden, er &#x017F;tehe auf dem <hi rendition="#fr">Gipfel<lb/>
des Helicons,</hi> und rufe von da herunter: <hi rendition="#fr">Nun<lb/>
&#x017F;ehet alle auf mich!</hi> Ein kriechender Poete hat<lb/>
hierna&#x0364;ch&#x017F;t die&#x017F;en Vortheil, daß er bey Gott und<lb/>
Men&#x017F;chen <hi rendition="#fr">nicht leicht &#x017F;o verhaßt</hi> werden kann,<lb/>
als ein erhabener, der <hi rendition="#fr">&#x017F;ich in &#x017F;einer Gro&#x0364;ße,</hi> &#x017F;o<lb/>
zu &#x017F;agen, <hi rendition="#fr">nicht &#x017F;elber fa&#x017F;&#x017F;en</hi> noch <hi rendition="#fr">u&#x0364;ber&#x017F;chauen</hi><lb/>
kann. Die Religion i&#x017F;t ihnen feind. Der<lb/>
Scho&#x0364;pfer hat einen Gra&#x0364;uel an &#x017F;olchen <hi rendition="#fr">Ueber-<lb/>
mu&#x0364;thigen</hi> und Aufgebla&#x017F;enen. Er la&#x0364;ßt &#x017F;ie an-<lb/>
laufen, daß &#x017F;ie von ihrer <hi rendition="#fr">eingebildeten Ho&#x0364;he</hi> in<lb/>
eine <hi rendition="#fr">wahrhafte Tiefe des Elendes</hi> verfallen.<lb/>
Er u&#x0364;berla&#x0364;&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ie manchmal dem <hi rendition="#fr">Schwindel</hi> ih-<lb/>
rer Gedanken, bis &#x017F;ie ru&#x0364;cklings einen ja&#x0364;hlingen<lb/>
Sturz in den Abgrund thun. Er la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et ge&#x017F;che-<lb/>
hen, daß &#x017F;ie &#x017F;o <hi rendition="#fr">offenbare Sotti&#x017F;en</hi> manchmal<lb/>
begehen, daß &#x017F;elb&#x017F;t die kriechende Poeten &#x017F;ie her-<lb/>
nach nicht einmal unter &#x017F;ich leiden wollen, weil<lb/>
&#x017F;ie vorher von die&#x017F;en <hi rendition="#fr">Stolzen</hi> u&#x0364;ber die Ach&#x017F;el an-<lb/>
ge&#x017F;ehen und fu&#x0364;r nichts gehalten worden. Ein<lb/>
hochmu&#x0364;thiger Poete kann auch einen andern<lb/>
hochmu&#x0364;thigen <hi rendition="#fr">nicht einmal neben &#x017F;ich,</hi> ge&#x017F;chwei-<lb/>
ge <hi rendition="#fr">u&#x0364;ber &#x017F;ich,</hi> vertragen. Daher i&#x017F;t unter <hi rendition="#fr">zwey<lb/>
erhabenen Poeten</hi> ordentlich heimliche Piquan-<lb/>
terie. Einer macht den andern herunter, und<lb/>
&#x017F;etzt &#x017F;ich, <hi rendition="#fr">wenig&#x017F;tens in Gedanken,</hi> weit u&#x0364;ber<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J 4</fw><fw place="bottom" type="catch">ihn.</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0143] vor der erhabenen Dichterey. ſeines Bathos fuͤr einen Longiniſchen Berg- Pallaſt anſehen wollte. Er kann wol eine in- nige Zufriedenheit mit ſeinem niedrigen Stande haben; er kann ſich ſelber gefallen, daß er ſo poßirlich kriechet; aber er kann ſich doch und wird ſich nicht einbilden, er ſtehe auf dem Gipfel des Helicons, und rufe von da herunter: Nun ſehet alle auf mich! Ein kriechender Poete hat hiernaͤchſt dieſen Vortheil, daß er bey Gott und Menſchen nicht leicht ſo verhaßt werden kann, als ein erhabener, der ſich in ſeiner Groͤße, ſo zu ſagen, nicht ſelber faſſen noch uͤberſchauen kann. Die Religion iſt ihnen feind. Der Schoͤpfer hat einen Graͤuel an ſolchen Ueber- muͤthigen und Aufgeblaſenen. Er laͤßt ſie an- laufen, daß ſie von ihrer eingebildeten Hoͤhe in eine wahrhafte Tiefe des Elendes verfallen. Er uͤberlaͤſſet ſie manchmal dem Schwindel ih- rer Gedanken, bis ſie ruͤcklings einen jaͤhlingen Sturz in den Abgrund thun. Er laͤſſet geſche- hen, daß ſie ſo offenbare Sottiſen manchmal begehen, daß ſelbſt die kriechende Poeten ſie her- nach nicht einmal unter ſich leiden wollen, weil ſie vorher von dieſen Stolzen uͤber die Achſel an- geſehen und fuͤr nichts gehalten worden. Ein hochmuͤthiger Poete kann auch einen andern hochmuͤthigen nicht einmal neben ſich, geſchwei- ge uͤber ſich, vertragen. Daher iſt unter zwey erhabenen Poeten ordentlich heimliche Piquan- terie. Einer macht den andern herunter, und ſetzt ſich, wenigſtens in Gedanken, weit uͤber ihn. J 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/143
Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/143>, abgerufen am 03.05.2024.