Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorzug der kriechenden Poesie
und die Maus wolle im Wasser leben. Beyder
Natur leidets nicht.
Wollte der kriechende
Poete sich hoch versteigen: So würde er in der
Luft nicht Athem holen können, auch bald den
Schwindel bekommen. Wollte hingegen der
erhabene Poete anfangen zu kriechen: So wür-
de ihn seine Leichtigkeit bald heben, und er der
dicken ausdünstenden Erden-Luft nicht gewohnt
werden können. Diesemnach wird jeder Leser
erkennen, daß, weil ich die Partie der kriechen-
den Poeten,
als ihr Sachwalter und Geschäfts-
führer, auf mich genommen, wenn die Sache
vor dem Berg-Gerichte des Apollo zum Pro-
ceß kommen sollte, wir nicht alle beyde den Pro-
ceß gewinnen, sondern eine Part solchen noth-
wendig verspielen müsse.

§ 6. Weil ich aber noch zur Zeit meinen
eigenen Mann
nicht habe, wie jener Schwabe
im Treffen sagte, der das Gewehr niederstreckte,
und meynte: Man solle ihm seinen Mann wei-
sen, mit dem er anbilden solle, da er denn sich
vielleicht in Güte mit ihm würde setzen können,
daß es des Schiessens, Hauens und Stechens
nicht bedürfe: So gleiche ich also einem Par-
theygänger
oder Husaren, der da eine Streife-
rey in des Feindes Avant-Garde, oder auch ei-
nen Satz in die Arriere-Garde thut, und, was
er geschwinde niederschlagen oder erbeuten kann,
für sich selbst behält. Sollte ich aber von vie-
len dieserhalb angefochten werden: So ist es
denen Kampf-Regeln gemäß, daß höchstens nur

ein

Vorzug der kriechenden Poeſie
und die Maus wolle im Waſſer leben. Beyder
Natur leidets nicht.
Wollte der kriechende
Poete ſich hoch verſteigen: So wuͤrde er in der
Luft nicht Athem holen koͤnnen, auch bald den
Schwindel bekommen. Wollte hingegen der
erhabene Poete anfangen zu kriechen: So wuͤr-
de ihn ſeine Leichtigkeit bald heben, und er der
dicken ausduͤnſtenden Erden-Luft nicht gewohnt
werden koͤnnen. Dieſemnach wird jeder Leſer
erkennen, daß, weil ich die Partie der kriechen-
den Poeten,
als ihr Sachwalter und Geſchaͤfts-
fuͤhrer, auf mich genommen, wenn die Sache
vor dem Berg-Gerichte des Apollo zum Pro-
ceß kommen ſollte, wir nicht alle beyde den Pro-
ceß gewinnen, ſondern eine Part ſolchen noth-
wendig verſpielen muͤſſe.

§ 6. Weil ich aber noch zur Zeit meinen
eigenen Mann
nicht habe, wie jener Schwabe
im Treffen ſagte, der das Gewehr niederſtreckte,
und meynte: Man ſolle ihm ſeinen Mann wei-
ſen, mit dem er anbilden ſolle, da er denn ſich
vielleicht in Guͤte mit ihm wuͤrde ſetzen koͤnnen,
daß es des Schieſſens, Hauens und Stechens
nicht beduͤrfe: So gleiche ich alſo einem Par-
theygaͤnger
oder Huſaren, der da eine Streife-
rey in des Feindes Avant-Garde, oder auch ei-
nen Satz in die Arriere-Garde thut, und, was
er geſchwinde niederſchlagen oder erbeuten kann,
fuͤr ſich ſelbſt behaͤlt. Sollte ich aber von vie-
len dieſerhalb angefochten werden: So iſt es
denen Kampf-Regeln gemaͤß, daß hoͤchſtens nur

ein
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0134" n="126"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vorzug der kriechenden Poe&#x017F;ie</hi></fw><lb/>
und die Maus wolle im Wa&#x017F;&#x017F;er leben. <hi rendition="#fr">Beyder<lb/>
Natur leidets nicht.</hi> Wollte der <hi rendition="#fr">kriechende</hi><lb/>
Poete &#x017F;ich hoch ver&#x017F;teigen: So wu&#x0364;rde er in der<lb/>
Luft nicht Athem holen ko&#x0364;nnen, auch bald den<lb/>
Schwindel bekommen. Wollte hingegen der<lb/><hi rendition="#fr">erhabene Poete</hi> anfangen zu kriechen: So wu&#x0364;r-<lb/>
de ihn &#x017F;eine Leichtigkeit bald heben, und er der<lb/>
dicken ausdu&#x0364;n&#x017F;tenden Erden-Luft nicht gewohnt<lb/>
werden ko&#x0364;nnen. Die&#x017F;emnach wird jeder Le&#x017F;er<lb/>
erkennen, daß, weil ich die <hi rendition="#fr">Partie der kriechen-<lb/>
den Poeten,</hi> als ihr Sachwalter und Ge&#x017F;cha&#x0364;fts-<lb/>
fu&#x0364;hrer, auf mich genommen, wenn die Sache<lb/>
vor dem <hi rendition="#fr">Berg-Gerichte des Apollo</hi> zum Pro-<lb/>
ceß kommen &#x017F;ollte, wir nicht alle beyde den Pro-<lb/>
ceß gewinnen, &#x017F;ondern eine Part &#x017F;olchen noth-<lb/>
wendig ver&#x017F;pielen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
        <p>§ 6. Weil ich aber noch zur Zeit <hi rendition="#fr">meinen<lb/>
eigenen Mann</hi> nicht habe, wie jener <hi rendition="#fr">Schwabe</hi><lb/>
im Treffen &#x017F;agte, der das Gewehr nieder&#x017F;treckte,<lb/>
und meynte: Man &#x017F;olle ihm <hi rendition="#fr">&#x017F;einen Mann</hi> wei-<lb/>
&#x017F;en, mit dem er anbilden &#x017F;olle, da er denn &#x017F;ich<lb/>
vielleicht <hi rendition="#fr">in Gu&#x0364;te</hi> mit ihm wu&#x0364;rde &#x017F;etzen ko&#x0364;nnen,<lb/>
daß es des Schie&#x017F;&#x017F;ens, Hauens und Stechens<lb/>
nicht bedu&#x0364;rfe: So gleiche ich al&#x017F;o einem <hi rendition="#fr">Par-<lb/>
theyga&#x0364;nger</hi> oder <hi rendition="#fr">Hu&#x017F;aren,</hi> der da eine Streife-<lb/>
rey in des Feindes Avant-Garde, oder auch ei-<lb/>
nen Satz in die Arriere-Garde thut, und, was<lb/>
er ge&#x017F;chwinde nieder&#x017F;chlagen oder erbeuten kann,<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t beha&#x0364;lt. Sollte ich aber von vie-<lb/>
len die&#x017F;erhalb angefochten werden: So i&#x017F;t es<lb/>
denen Kampf-Regeln gema&#x0364;ß, daß ho&#x0364;ch&#x017F;tens nur<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">ein</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0134] Vorzug der kriechenden Poeſie und die Maus wolle im Waſſer leben. Beyder Natur leidets nicht. Wollte der kriechende Poete ſich hoch verſteigen: So wuͤrde er in der Luft nicht Athem holen koͤnnen, auch bald den Schwindel bekommen. Wollte hingegen der erhabene Poete anfangen zu kriechen: So wuͤr- de ihn ſeine Leichtigkeit bald heben, und er der dicken ausduͤnſtenden Erden-Luft nicht gewohnt werden koͤnnen. Dieſemnach wird jeder Leſer erkennen, daß, weil ich die Partie der kriechen- den Poeten, als ihr Sachwalter und Geſchaͤfts- fuͤhrer, auf mich genommen, wenn die Sache vor dem Berg-Gerichte des Apollo zum Pro- ceß kommen ſollte, wir nicht alle beyde den Pro- ceß gewinnen, ſondern eine Part ſolchen noth- wendig verſpielen muͤſſe. § 6. Weil ich aber noch zur Zeit meinen eigenen Mann nicht habe, wie jener Schwabe im Treffen ſagte, der das Gewehr niederſtreckte, und meynte: Man ſolle ihm ſeinen Mann wei- ſen, mit dem er anbilden ſolle, da er denn ſich vielleicht in Guͤte mit ihm wuͤrde ſetzen koͤnnen, daß es des Schieſſens, Hauens und Stechens nicht beduͤrfe: So gleiche ich alſo einem Par- theygaͤnger oder Huſaren, der da eine Streife- rey in des Feindes Avant-Garde, oder auch ei- nen Satz in die Arriere-Garde thut, und, was er geſchwinde niederſchlagen oder erbeuten kann, fuͤr ſich ſelbſt behaͤlt. Sollte ich aber von vie- len dieſerhalb angefochten werden: So iſt es denen Kampf-Regeln gemaͤß, daß hoͤchſtens nur ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/134
Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/134>, abgerufen am 03.05.2024.