Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 3. Wien, 1850.erwiesen, die ihnen die strengen Gebote ihrer Religion erlaubten. Ich hatte die Nächte in offenen, unverschlossenen Zellen, wohl auch unter Gottes freiem Himmel zugebracht, umgeben von dem Volke der ärmsten und niedrigsten Klasse und war nie beleidiget worden, weder durch Worte, Handlungen noch böse Mienen. Nie ward mir etwas entwendet und wenn ich irgend einem Kinde *) eine Kleinigkeit gab, ein Stückchen Brod, Käse u. dgl., suchten die Eltern stets durch andere Gaben oder Gefälligkeiten mir ihre Erkenntlichkeit zu bezeigen. Ach, wenn doch die Europäer wüßten, wie leicht sie diese guten Natur-Menschen durch Nachsicht und Freundlichkeit gewinnen könnten! Leider aber wollen sie durch Gewalt herrschen und behandeln das arme Volk mit Verachtung und Härte. Kottah ist die Hauptstadt des Königreiches Radschpatan's. Hier, wie in allen jenen Provinzen, die die englische Regierung noch unter der Herrschaft ihrer eingebornen Prinzen gelassen hat, ist ein englischer Beamte aufgestellt, welcher den Titel "Resident" führt. Diesen Residenten könnte man eigentlich den "König" oder wenigstens den "Gouverneur des Königs" nennen, denn der wahre König darf ohne seine Einwilligung nichts Bedeutendes unternehmen. Solch ein armer Schattenkönig darf z. B. ohne die Erlaubniß des Residenten nicht einmal die Grenzen seiner Staaten überschreiten. Die größeren *) Gewöhnlich werden die Kinder bis zum neunten Jahre als unrein betrachtet und sind daher an keine Gebote ihrer Religion gebunden.
erwiesen, die ihnen die strengen Gebote ihrer Religion erlaubten. Ich hatte die Nächte in offenen, unverschlossenen Zellen, wohl auch unter Gottes freiem Himmel zugebracht, umgeben von dem Volke der ärmsten und niedrigsten Klasse und war nie beleidiget worden, weder durch Worte, Handlungen noch böse Mienen. Nie ward mir etwas entwendet und wenn ich irgend einem Kinde *) eine Kleinigkeit gab, ein Stückchen Brod, Käse u. dgl., suchten die Eltern stets durch andere Gaben oder Gefälligkeiten mir ihre Erkenntlichkeit zu bezeigen. Ach, wenn doch die Europäer wüßten, wie leicht sie diese guten Natur-Menschen durch Nachsicht und Freundlichkeit gewinnen könnten! Leider aber wollen sie durch Gewalt herrschen und behandeln das arme Volk mit Verachtung und Härte. Kottah ist die Hauptstadt des Königreiches Radschpatan’s. Hier, wie in allen jenen Provinzen, die die englische Regierung noch unter der Herrschaft ihrer eingebornen Prinzen gelassen hat, ist ein englischer Beamte aufgestellt, welcher den Titel „Resident“ führt. Diesen Residenten könnte man eigentlich den „König“ oder wenigstens den „Gouverneur des Königs“ nennen, denn der wahre König darf ohne seine Einwilligung nichts Bedeutendes unternehmen. Solch ein armer Schattenkönig darf z. B. ohne die Erlaubniß des Residenten nicht einmal die Grenzen seiner Staaten überschreiten. Die größeren *) Gewöhnlich werden die Kinder bis zum neunten Jahre als unrein betrachtet und sind daher an keine Gebote ihrer Religion gebunden.
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erwiesen, die ihnen die strengen Gebote ihrer Religion erlaubten. Ich hatte die Nächte in offenen, unverschlossenen Zellen, wohl auch unter Gottes freiem Himmel zugebracht, umgeben von dem Volke der ärmsten und niedrigsten Klasse und war nie beleidiget worden, weder durch Worte, Handlungen noch böse Mienen. Nie ward mir etwas entwendet und wenn ich irgend einem Kinde *) eine Kleinigkeit gab, ein Stückchen Brod, Käse u. dgl., suchten die Eltern stets durch andere Gaben oder Gefälligkeiten mir ihre Erkenntlichkeit zu bezeigen. Ach, wenn doch die Europäer wüßten, wie leicht sie diese guten Natur-Menschen durch Nachsicht und Freundlichkeit gewinnen könnten! Leider aber wollen sie durch Gewalt herrschen und behandeln das arme Volk mit Verachtung und Härte.
Kottah ist die Hauptstadt des Königreiches Radschpatan’s. Hier, wie in allen jenen Provinzen, die die englische Regierung noch unter der Herrschaft ihrer eingebornen Prinzen gelassen hat, ist ein englischer Beamte aufgestellt, welcher den Titel „Resident“ führt. Diesen Residenten könnte man eigentlich den „König“ oder wenigstens den „Gouverneur des Königs“ nennen, denn der wahre König darf ohne seine Einwilligung nichts Bedeutendes unternehmen. Solch ein armer Schattenkönig darf z. B. ohne die Erlaubniß des Residenten nicht einmal die Grenzen seiner Staaten überschreiten. Die größeren
*) Gewöhnlich werden die Kinder bis zum neunten Jahre als unrein betrachtet und sind daher an keine Gebote ihrer Religion gebunden.
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Zitationshilfe: | Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 3. Wien, 1850, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfeiffer_frauenfahrt03_1850/27>, abgerufen am 16.07.2024. |