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Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 2. Wien, 1850.

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Der Kallytempel ist ein erbärmliches Gebäude oder besser gesagt: ein finsteres Loch, auf dessen kuppelartigem Dächlein einige Thürmchen angebracht sind. Die hier befindliche Statue zeichnete sich besonders durch einen ungeheuren Kopf und eine fürchterlich lange Zunge aus. Ihr Gesicht war hochroth, gelb und himmelblau angestrichen. -- Ich durfte dies Götterloch nicht betreten, weil ich zum Frauengeschlechte gehörte, welches nicht für würdig geachtet wird, ein so großes Heiligthum wie Kally's Tempel zu besuchen. Ich sah mit den Weibern der Hindus bei der Thüre hinein, womit ich mich vollkommen begnügte.

Schauerliche und ergreifende Bilder gewähren die Sterbehäuser und Verbrennungsorte der Hindus. Jene, welche ich sah, liegen an dem Ufer des Hugly, nahe der Stadt, -- ihnen gegenüber ist der Holzmarkt. Das Sterbehaus war klein und enthielt blos ein Gemach mit vier nackten Bettstellen. Die Sterbenden werden von ihren Verwandten hieher gebracht und entweder auf eine der Bettstellen, oder wenn diese besetzt sind, auf den Boden, ja im Nothfalle selbst vor das Häuschen in die glühende Sonnenhitze gelegt. Ich fand fünf Sterbende in dem Häuschen und zwei außer demselben. Letztere waren ganz in Stroh- und Wolldecken gehüllt und ich dachte sie seien schon todt; als ich mich aber darnach erkundigte, schlug man die Decken auf, und ich sah die Armen sich noch bewegen. Ich glaube, daß sie unter den Decken halb ersticken müssen. Im Häuschen lag ein steinaltes Mütterchen auf dem Boden, das schwer der letzten Stunde entgegen röchelte. Die vier Bettstellen waren

Der Kallytempel ist ein erbärmliches Gebäude oder besser gesagt: ein finsteres Loch, auf dessen kuppelartigem Dächlein einige Thürmchen angebracht sind. Die hier befindliche Statue zeichnete sich besonders durch einen ungeheuren Kopf und eine fürchterlich lange Zunge aus. Ihr Gesicht war hochroth, gelb und himmelblau angestrichen. — Ich durfte dies Götterloch nicht betreten, weil ich zum Frauengeschlechte gehörte, welches nicht für würdig geachtet wird, ein so großes Heiligthum wie Kally’s Tempel zu besuchen. Ich sah mit den Weibern der Hindus bei der Thüre hinein, womit ich mich vollkommen begnügte.

Schauerliche und ergreifende Bilder gewähren die Sterbehäuser und Verbrennungsorte der Hindus. Jene, welche ich sah, liegen an dem Ufer des Hugly, nahe der Stadt, — ihnen gegenüber ist der Holzmarkt. Das Sterbehaus war klein und enthielt blos ein Gemach mit vier nackten Bettstellen. Die Sterbenden werden von ihren Verwandten hieher gebracht und entweder auf eine der Bettstellen, oder wenn diese besetzt sind, auf den Boden, ja im Nothfalle selbst vor das Häuschen in die glühende Sonnenhitze gelegt. Ich fand fünf Sterbende in dem Häuschen und zwei außer demselben. Letztere waren ganz in Stroh- und Wolldecken gehüllt und ich dachte sie seien schon todt; als ich mich aber darnach erkundigte, schlug man die Decken auf, und ich sah die Armen sich noch bewegen. Ich glaube, daß sie unter den Decken halb ersticken müssen. Im Häuschen lag ein steinaltes Mütterchen auf dem Boden, das schwer der letzten Stunde entgegen röchelte. Die vier Bettstellen waren

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[141/0148] Der Kallytempel ist ein erbärmliches Gebäude oder besser gesagt: ein finsteres Loch, auf dessen kuppelartigem Dächlein einige Thürmchen angebracht sind. Die hier befindliche Statue zeichnete sich besonders durch einen ungeheuren Kopf und eine fürchterlich lange Zunge aus. Ihr Gesicht war hochroth, gelb und himmelblau angestrichen. — Ich durfte dies Götterloch nicht betreten, weil ich zum Frauengeschlechte gehörte, welches nicht für würdig geachtet wird, ein so großes Heiligthum wie Kally’s Tempel zu besuchen. Ich sah mit den Weibern der Hindus bei der Thüre hinein, womit ich mich vollkommen begnügte. Schauerliche und ergreifende Bilder gewähren die Sterbehäuser und Verbrennungsorte der Hindus. Jene, welche ich sah, liegen an dem Ufer des Hugly, nahe der Stadt, — ihnen gegenüber ist der Holzmarkt. Das Sterbehaus war klein und enthielt blos ein Gemach mit vier nackten Bettstellen. Die Sterbenden werden von ihren Verwandten hieher gebracht und entweder auf eine der Bettstellen, oder wenn diese besetzt sind, auf den Boden, ja im Nothfalle selbst vor das Häuschen in die glühende Sonnenhitze gelegt. Ich fand fünf Sterbende in dem Häuschen und zwei außer demselben. Letztere waren ganz in Stroh- und Wolldecken gehüllt und ich dachte sie seien schon todt; als ich mich aber darnach erkundigte, schlug man die Decken auf, und ich sah die Armen sich noch bewegen. Ich glaube, daß sie unter den Decken halb ersticken müssen. Im Häuschen lag ein steinaltes Mütterchen auf dem Boden, das schwer der letzten Stunde entgegen röchelte. Die vier Bettstellen waren

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Zitationshilfe: Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 2. Wien, 1850, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfeiffer_frauenfahrt02_1850/148>, abgerufen am 28.04.2024.