ppe_045.001 fortschreitende Entwicklung, wie sie H. A. Korff in den drei Phasen ppe_045.002 Sturm und Drang, Klassik, Romantik als "Geist der Goethezeit" ppe_045.003 (1923 ff.) darzustellen sich vornahm. Wenn hier die klärende Begriffsführung ppe_045.004 Simmels in mancher Beziehung vorbildlich erscheint, so wird ppe_045.005 jetzt überhaupt die Übertragung und Ausdehnung der Grundsätze ppe_045.006 der Personalmonographie auf die Periodendarstellung sichtbar, am ppe_045.007 deutlichsten unter Bergsons und Gundolfs Einfluß in den dionysischen ppe_045.008 Anfängen von Herbert Cysarz.
ppe_045.009 Die vollkommene Umwertung der biographischen Aufgaben war ppe_045.010 im zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts zuerst sichtbar geworden ppe_045.011 in der schnellen Aufeinanderfolge neuartiger Goethe-Darstellungen, ppe_045.012 die bei aller Verschiedenheit von Form und Auffassung das gemeinsam ppe_045.013 hatten, daß sie nicht mehr die Teile, sondern die Ganzheit, persönlich ppe_045.014 geschaut, in durchgeistigter, künstlerischer Form vermitteln ppe_045.015 wollten. H. St. Chamberlain (1912) suchte die Totalität, indem er den ppe_045.016 Naturerforscher in den Vordergrund stellte; G. Simmel (1913) bemühte ppe_045.017 sich, den Sinn der Existenz Goethes auf eine Formel zu bringen, ppe_045.018 über der das blutvolle Leben und Erlebnis allerdings verblaßte; ppe_045.019 Fr. Gundolf (1916) fand die Einheit von Leben und Dichtung im ppe_045.020 Kunstwerk der Gestalt. Diese Lösungen wären schwerlich möglich ppe_045.021 gewesen ohne die Grundlagen, die die vorausgegangene entsagungsvolle ppe_045.022 Arbeit der Goethe-Philologie geschaffen hatte; es war deren ppe_045.023 Schicksal, in eben dem Zeitpunkt, da sie das ihrige getan hatte, bereits ppe_045.024 als überholt und beinahe überflüssig angesehen zu werden. An ppe_045.025 die Stelle der aus dem Material aufgebauten Biographie von außen ppe_045.026 trat die Biographie von innen, wie man sie genannt hat. Und deren ppe_045.027 Ansprüchen genügte, wie der spanische Philosoph Jose Ortega y ppe_045.028 Gasset im Jahre 1932 sagte, auch das Buch von Simmel, das er das ppe_045.029 einzig lesbare nannte, noch lange nicht.
ppe_045.030 Solange nun ein Gleichgewicht von Gehalt und künstlerischer Form ppe_045.031 gewahrt wurde, eine "wirklich reine unkupplerische Versöhnung des ppe_045.032 historischen Denkens mit der anschauenden Phantasie", wie K. Voßler ppe_045.033 es genannt hat, konnte die Forderung eines Ranke, der die Historie ppe_045.034 als Synthese von Wissenschaft und Kunst aufgefaßt sehen wollte, in ppe_045.035 der Monographie erfüllt werden. Es gelang, solange man die Wesensmitte, ppe_045.036 aus der gestaltet werden sollte, im Gegenstand suchte. Aber je ppe_045.037 mehr die Innenrichtung überging vom Gegenstand zum Verfasser, der ppe_045.038 für seine eigenschöpferische Vision und die Virtuosität der schriftstellerischen ppe_045.039 Leistung Beifall forderte, desto mehr glitt das Lebensbild ppe_045.040 aus dem Bereich der Wissenschaft in den der schönen Literatur ppe_045.041 hinüber und wurde selbst zum Wortkunstwerk, ja zum Virtuosenstück.
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ppe_045.009 Die vollkommene Umwertung der biographischen Aufgaben war ppe_045.010 im zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts zuerst sichtbar geworden ppe_045.011 in der schnellen Aufeinanderfolge neuartiger Goethe-Darstellungen, ppe_045.012 die bei aller Verschiedenheit von Form und Auffassung das gemeinsam ppe_045.013 hatten, daß sie nicht mehr die Teile, sondern die Ganzheit, persönlich ppe_045.014 geschaut, in durchgeistigter, künstlerischer Form vermitteln ppe_045.015 wollten. H. St. Chamberlain (1912) suchte die Totalität, indem er den ppe_045.016 Naturerforscher in den Vordergrund stellte; G. Simmel (1913) bemühte ppe_045.017 sich, den Sinn der Existenz Goethes auf eine Formel zu bringen, ppe_045.018 über der das blutvolle Leben und Erlebnis allerdings verblaßte; ppe_045.019 Fr. Gundolf (1916) fand die Einheit von Leben und Dichtung im ppe_045.020 Kunstwerk der Gestalt. Diese Lösungen wären schwerlich möglich ppe_045.021 gewesen ohne die Grundlagen, die die vorausgegangene entsagungsvolle ppe_045.022 Arbeit der Goethe-Philologie geschaffen hatte; es war deren ppe_045.023 Schicksal, in eben dem Zeitpunkt, da sie das ihrige getan hatte, bereits ppe_045.024 als überholt und beinahe überflüssig angesehen zu werden. An ppe_045.025 die Stelle der aus dem Material aufgebauten Biographie von außen ppe_045.026 trat die Biographie von innen, wie man sie genannt hat. Und deren ppe_045.027 Ansprüchen genügte, wie der spanische Philosoph José Ortega y ppe_045.028 Gasset im Jahre 1932 sagte, auch das Buch von Simmel, das er das ppe_045.029 einzig lesbare nannte, noch lange nicht.
ppe_045.030 Solange nun ein Gleichgewicht von Gehalt und künstlerischer Form ppe_045.031 gewahrt wurde, eine „wirklich reine unkupplerische Versöhnung des ppe_045.032 historischen Denkens mit der anschauenden Phantasie“, wie K. Voßler ppe_045.033 es genannt hat, konnte die Forderung eines Ranke, der die Historie ppe_045.034 als Synthese von Wissenschaft und Kunst aufgefaßt sehen wollte, in ppe_045.035 der Monographie erfüllt werden. Es gelang, solange man die Wesensmitte, ppe_045.036 aus der gestaltet werden sollte, im Gegenstand suchte. Aber je ppe_045.037 mehr die Innenrichtung überging vom Gegenstand zum Verfasser, der ppe_045.038 für seine eigenschöpferische Vision und die Virtuosität der schriftstellerischen ppe_045.039 Leistung Beifall forderte, desto mehr glitt das Lebensbild ppe_045.040 aus dem Bereich der Wissenschaft in den der schönen Literatur ppe_045.041 hinüber und wurde selbst zum Wortkunstwerk, ja zum Virtuosenstück.
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/69>, abgerufen am 24.11.2024.
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