ppe_037.001 Sinn für Individualität umkleidet und der großen geistesgeschichtlichen ppe_037.002 Ausblicke nicht entbehrt, ist alles andere als die Konstruktion ppe_037.003 eines öden Mechanismus. Der Bau steht fest, auch wenn man das ppe_037.004 Gebälk der Hilfskonstruktion ihm entzieht.
ppe_037.005 Eine neue Plattform war erreicht, indem man in der zweiten ppe_037.006 Hälfte des 19. Jahrhunderts die neuere Literaturgeschichte als eine ppe_037.007 philologische Disziplin zu organisieren begann. Nun setzt im Zeitalter ppe_037.008 des Positivismus die sechste Runde ein. Wieder ist Sammeln ppe_037.009 und Herausgeben der Anfang. Der erste ordentliche Fachvertreter ppe_037.010 an der Universität Göttingen, der von der Journalistik herkommende ppe_037.011 Karl Goedeke, widmete seine wissenschaftliche Arbeit den Grundsteinen, ppe_037.012 indem er in seinem "Grundriß zur Geschichte der deutschen ppe_037.013 Dichtung" eine neue Bücherkunde schuf, die sich als unentbehrliches ppe_037.014 Fundament aller Forschung erwies. In seiner Historisch-Kritischen ppe_037.015 Schiller-Ausgabe (1867-76) organisierte er unter Teilnahme klassischer ppe_037.016 Philologen eine vorbildliche wissenschaftliche Klassikerausgabe, ppe_037.017 die allerdings den literarhistorischen Ansprüchen mancherlei ppe_037.018 schuldig blieb. Auch der in München Schule bildende Michael ppe_037.019 Bernays suchte sein Verdienst darin, die streng kritischen Grundsätze ppe_037.020 der klassischen Philologie auf das Studium der neueren Literatur ppe_037.021 zu übertragen. Künstlerisch gehandhabte Textkritik und Textvergleichung ppe_037.022 blieben für ihn die Grundlagen aller feinsinnigen Deutung ppe_037.023 und Stilbeobachtung, die große Ausblicke in die Weltliteratur suchte, ppe_037.024 ohne doch zur Zusammenfassung zu gelangen.
ppe_037.025 Über solche Vorarbeiten war Wilhelm Scherer, der konstruktive ppe_037.026 Kopf, der große Kombinationen liebte und die Küstenschiffahrt verabscheute, ppe_037.027 hinausgekommen. Er hatte schon im Jahre 1868 ausgesprochen: ppe_037.028 "Wir sind es endlich müde, in der gedankenlosen Anhäufung ppe_037.029 wohlgesichteten Materials den höchsten Triumph der Forschung ppe_037.030 zu erblicken." Die folgende Generation (nicht nur seine Schule) ppe_037.031 hat indessen diese Müdigkeit nicht gekannt. Hatte Scherers letzter ppe_037.032 Blick noch der großen Weimarer Goethe-Ausgabe gegolten, die aus ppe_037.033 den schier unerschöpflichen Schätzen des endlich erschlossenen Nachlasses ppe_037.034 aufzubauen war, so fand nun ein ganzes Geschlecht von Forschern ppe_037.035 Beschäftigung in Textkritik, Datierung, Kommentierung und ppe_037.036 aller damit zusammenhängenden, keineswegs nutzlosen Kleinarbeit, ppe_037.037 die die volle Beherrschung einer exakten wissenschaftlichen Methode ppe_037.038 beanspruchte. Der gewissenhafte Dienst am Wort brachte die Andacht ppe_037.039 zum Kleinen aufs neue zu Ehren, aber zugleich die Gefahr, daß ppe_037.040 Akribie in Mikrologie ausartete. Bausteine wurden zusammengetragen ppe_037.041 und behauen, ohne daß den fleißigen Steinmetzen der Aufriß des
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/61>, abgerufen am 22.11.2024.
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