ppe_510.001 nicht als Müssen. Gleichwohl ist Können und Müssen ein Spiel und ppe_510.002 Müssen ohne Können ein Trauerspiel. Dichtung setzt immer Dichtkunst ppe_510.003 voraus, und deren Anwendung ist wiederum dem Gebot der ppe_510.004 Dichtung unterworfen, so daß auf dem ganzen Wege eine Wechselwirkung ppe_510.005 zu erkennen ist, die durch das Gemeinschaftserlebnis in Zusammenhang ppe_510.006 und durch die Kritik in Fluß gehalten wird.
ppe_510.007 Beides sind Wertbegriffe, die im einen Fall durch das ausdruckgebende ppe_510.008 Schöpfertum, sei es eines einzelnen Dichters, sei es einer ppe_510.009 Stadtkultur, eines Freundeskreises, einer Gesellschaftsschicht, eines ppe_510.010 Volkes Bedeutung gewinnen, im anderen Fall durch die Ausdrucksmöglichkeit ppe_510.011 überhaupt, die besonders im Verhältnis zu anderen ppe_510.012 Künsten sich auszeichnet. Auch bei der Dichtkunst kann die Frage ppe_510.013 nach Urheber und Vervollkommner aufgeworfen werden, aber die Antwort ppe_510.014 führt weder auf eine individuelle Persönlichkeit noch auf das ppe_510.015 Ganze, sondern auf einen Typus des Künstlers, der sich als Dichter ppe_510.016 von dem Typus des Malers, des Bildhauers, des Tonsetzers, des Baumeisters, ppe_510.017 des Schauspielers unterscheidet. Die Frage mündet also ppe_510.018 in die psychologische Typenlehre, auch insofern, als Doppelanlagen ppe_510.019 in den Gattungen und Arten der Dichtkunst Gestalt werden, sobald ppe_510.020 deren sprachliche Ausdrucksmittel musikalische, malerische, plastische, ppe_510.021 rhythmische, schauspielerische Werte fördern. Man darf also ppe_510.022 sagen, daß die Dichtung, gleichviel welchen Umfang wir ihr geben, ppe_510.023 einem bestimmten Charakter, die Dichtkunst einem bestimmten ppe_510.024 Typus Ausdruck verleiht. Beide Reihen streben einander zu und ppe_510.025 treffen erst in der Spitze zusammen als Vereinigung des menschlichen ppe_510.026 Charakters und des künstlerischen Typus in edelster Gestalt. Ist nach ppe_510.027 Schiller der Dichter allein der wahre Mensch, so ist in der Dichtung ppe_510.028 der wahrste Gehalt reiner Menschlichkeit und in der Dichtkunst ihre ppe_510.029 wahrste und reinste Form zu finden.
ppe_510.030 b) Überblick über die Dichtung
ppe_510.031 Der Weg der ersten beiden Bücher, der in der Reihenfolge von ppe_510.032 Sammlung, Kritik, Gliederung, Deutung zu Werk und Dichter hinführte, ppe_510.033 braucht im Blick auf das Ganze der Dichtung nicht einmal ppe_510.034 von vorne anzufangen; die ersten beiden Stufen bleiben erspart, denn ppe_510.035 gesammelt werden können nur Werke, und kritisiert werden Dichter. ppe_510.036 Die vollständige Sammlung aller Dichtung, etwa alles dessen, was ppe_510.037 in den verschiedensten Sprachen der Erde jemals rhythmisch gewogen ppe_510.038 oder gereimt wurde, was der Einbildungskraft entsprang oder ppe_510.039 die Phantasie erregte, wäre eine unübersehbare und unermeßliche
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ppe_510.030 b) Überblick über die Dichtung
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/534>, abgerufen am 22.11.2024.
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