ppe_435.001 Ergänzung durch alle Berichte aus der Umwelt des Dichters, die über ppe_435.002 die von ihm selbst gesuchten oder hergestellten Arbeitsbedingungen ppe_435.003 Aufschluß geben.
ppe_435.004 Klima und Jahreszeit fördern die Schaffensfreudigkeit in verschiedener ppe_435.005 Weise. Für Schiller brachte der Eintritt des Frühjahrs eine ppe_435.006 traurige Stimmung unruhigen und gegenstandslosen Sehnens mit sich, ppe_435.007 die dem bei anderer Gelegenheit (vgl. S. 411) geschilderten Zustand ppe_435.008 vor der Konzeption entspricht. Das alljährliche Erlebnis der erwachenden ppe_435.009 Natur geht wohl an keinem Poeten spurlos vorüber, aber ppe_435.010 die Frucht folgt der Blüte oft viel später. Selbst Uhland, der recht ppe_435.011 eigentlich ein Frühlingsdichter war, hat Lenzlieder in den Wintermonaten ppe_435.012 verfaßt. Jean Paul fühlte sich in trüben Zeiten besonders ppe_435.013 zur Arbeit aufgelegt; sein Exkurs über die natürliche Magie der Phantasie ppe_435.014 im "Quintus Fixlein" erklärt, der dichterische Regenbogen wölbe ppe_435.015 sich, ebenso wie der optische, bei niedrigstem Stande der Sonne am ppe_435.016 höchsten (also abends und im Winter). Auch Wilhelm Raabe hat den ppe_435.017 November, den die meisten Menschen hassen und fürchten, als den ppe_435.018 willkommensten Monat für seine Arbeit gepriesen. Den 15. November ppe_435.019 1854, an dem er die Inspiration zur "Chronik der Sperlingsgasse" ppe_435.020 erlebte, hat er als "Federansetzungstag" gefeiert, und noch 25 Jahre ppe_435.021 später wird in "Fabian und Sebastian" der Zauber, den der erste ppe_435.022 Flockenfall im Bilde der Welt hervorruft, als Kern tiefsinniger Symbolik ppe_435.023 gepriesen.
ppe_435.024 Man wird bei diesen beiden Beispielen fragen, ob es gerade eine ppe_435.025 Eigenart des Humoristen sei, aus der trüben Jahreszeit Stimmung zu ppe_435.026 schöpfen. Aber auch der Tragiker Hebbel war im Sommer unproduktiv. ppe_435.027 Es ist möglich, daß der Unterschied zwischen nach außen und ppe_435.028 nach innen integrierten Menschen sich in der Abhängigkeit von der ppe_435.029 Jahreszeit auswirkt. Goethe jedenfalls, dessen Wohlbefinden von der ppe_435.030 Sonne abhängig war, pflegte den kürzesten Tag des Jahrs und die ihm ppe_435.031 vorausgehenden Wochen in deprimierter Stimmung zu verseufzen: ppe_435.032 "Wenn das Barometer tief steht und die Landschaft ohne Farbe ist, ppe_435.033 wie kann man leben?"
ppe_435.034 Wie Tag und Nacht trennen sich Früh- und Spätarbeiter. Während ppe_435.035 der Licht-, Farben- und Sonnenmensch Goethe für sein "Hauptgeschäft", ppe_435.036 die Vollendung des zweiten Teiles "Faust", im Alter nur ppe_435.037 noch die ausgeruhten Morgenstunden benutzte, in denen er am ppe_435.038 schaffensfrohesten war, dankte sein "Epilog zu Schillers Glocke" dem ppe_435.039 Freunde für das Opfer seiner durchwachten Nächte, die unseren Tag ppe_435.040 erhellt haben. Allerdings wollte Goethe in Schillers Schaffensweise ppe_435.041 etwas Gewaltsames erkennen.
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ppe_435.004 Klima und Jahreszeit fördern die Schaffensfreudigkeit in verschiedener ppe_435.005 Weise. Für Schiller brachte der Eintritt des Frühjahrs eine ppe_435.006 traurige Stimmung unruhigen und gegenstandslosen Sehnens mit sich, ppe_435.007 die dem bei anderer Gelegenheit (vgl. S. 411) geschilderten Zustand ppe_435.008 vor der Konzeption entspricht. Das alljährliche Erlebnis der erwachenden ppe_435.009 Natur geht wohl an keinem Poeten spurlos vorüber, aber ppe_435.010 die Frucht folgt der Blüte oft viel später. Selbst Uhland, der recht ppe_435.011 eigentlich ein Frühlingsdichter war, hat Lenzlieder in den Wintermonaten ppe_435.012 verfaßt. Jean Paul fühlte sich in trüben Zeiten besonders ppe_435.013 zur Arbeit aufgelegt; sein Exkurs über die natürliche Magie der Phantasie ppe_435.014 im „Quintus Fixlein“ erklärt, der dichterische Regenbogen wölbe ppe_435.015 sich, ebenso wie der optische, bei niedrigstem Stande der Sonne am ppe_435.016 höchsten (also abends und im Winter). Auch Wilhelm Raabe hat den ppe_435.017 November, den die meisten Menschen hassen und fürchten, als den ppe_435.018 willkommensten Monat für seine Arbeit gepriesen. Den 15. November ppe_435.019 1854, an dem er die Inspiration zur „Chronik der Sperlingsgasse“ ppe_435.020 erlebte, hat er als „Federansetzungstag“ gefeiert, und noch 25 Jahre ppe_435.021 später wird in „Fabian und Sebastian“ der Zauber, den der erste ppe_435.022 Flockenfall im Bilde der Welt hervorruft, als Kern tiefsinniger Symbolik ppe_435.023 gepriesen.
ppe_435.024 Man wird bei diesen beiden Beispielen fragen, ob es gerade eine ppe_435.025 Eigenart des Humoristen sei, aus der trüben Jahreszeit Stimmung zu ppe_435.026 schöpfen. Aber auch der Tragiker Hebbel war im Sommer unproduktiv. ppe_435.027 Es ist möglich, daß der Unterschied zwischen nach außen und ppe_435.028 nach innen integrierten Menschen sich in der Abhängigkeit von der ppe_435.029 Jahreszeit auswirkt. Goethe jedenfalls, dessen Wohlbefinden von der ppe_435.030 Sonne abhängig war, pflegte den kürzesten Tag des Jahrs und die ihm ppe_435.031 vorausgehenden Wochen in deprimierter Stimmung zu verseufzen: ppe_435.032 „Wenn das Barometer tief steht und die Landschaft ohne Farbe ist, ppe_435.033 wie kann man leben?“
ppe_435.034 Wie Tag und Nacht trennen sich Früh- und Spätarbeiter. Während ppe_435.035 der Licht-, Farben- und Sonnenmensch Goethe für sein „Hauptgeschäft“, ppe_435.036 die Vollendung des zweiten Teiles „Faust“, im Alter nur ppe_435.037 noch die ausgeruhten Morgenstunden benutzte, in denen er am ppe_435.038 schaffensfrohesten war, dankte sein „Epilog zu Schillers Glocke“ dem ppe_435.039 Freunde für das Opfer seiner durchwachten Nächte, die unseren Tag ppe_435.040 erhellt haben. Allerdings wollte Goethe in Schillers Schaffensweise ppe_435.041 etwas Gewaltsames erkennen.
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/459>, abgerufen am 23.11.2024.
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