ppe_313.001 oder mythenbildenden Kraft der Persönlichkeit. Sie gibt nur den ppe_313.002 Charakter, nicht die geschichtliche Wirklichkeit des Helden wieder."
ppe_313.003 Wenn Nietzsche sagt, aus drei Anekdoten sei es möglich, das Bild ppe_313.004 eines Menschen zu geben, so rechnete er mit der Treffsicherheit des ppe_313.005 Karikaturisten. Wird der Dichter zum Anekdotenhelden, so pflegen ppe_313.006 allgemein-menschliche Züge einseitig hervorzutreten. In einem Bändchen ppe_313.007 "Gottfried-Keller-Anekdoten" beispielsweise findet sich fast ausschließlich ppe_313.008 das Bild des rauhbeinigen Saufkumpans überliefert, das eine ppe_313.009 Maske des Dichters war.
ppe_313.010 Auf jeden Fall muß die Einschränkung gelten, daß die symbolhafte ppe_313.011 Anekdote als solche zu kennzeichnen ist und nicht mit beglaubigten ppe_313.012 Tatsachen durcheinander gebracht werden darf. Beispielsweise ist jene ppe_313.013 ergreifende Erzählung Moritz Hartmanns von dem wahnsinnigen deutschen ppe_313.014 Dichter, der wie ein Geist unter den griechischen Götterbildern ppe_313.015 eines französischen Schloßparks auftaucht, trotz ihrer symbolischen ppe_313.016 Bedeutung für den von Apoll Geschlagenen nicht als urkundlicher ppe_313.017 Aufschluß über die Erlebnisse Hölderlins bei der Heimwanderung aus ppe_313.018 Bordeaux zu verwerten.
ppe_313.019 d) Selbstbekenntnisse
ppe_313.020 Autobiographien. Die Anekdote spielt auch in den Selbstdarstellungen, ppe_313.021 die für die Technik der Biographie vorbildlich wurden, ppe_313.022 eine wichtige Rolle. In "Dichtung und Wahrheit" bedeutet der Besuch ppe_313.023 des jungen Leipziger Studenten bei Gottsched und die Ohrfeige, die ppe_313.024 der mächtige Perückenträger dem säumigen Diener verabreicht, ein ppe_313.025 schlagkräftiges Sinnbild für die Begegnung zweier Generationen. Man ppe_313.026 wird sie deshalb nicht mit jedem Zug als wirklichen Vorfall in Goethes ppe_313.027 Leben einsetzen dürfen. Nicht anders ist es mit dem faustischen Vorklang ppe_313.028 des Frankfurter Gretchen, mit dem Märchen vom "Neuen Paris" ppe_313.029 oder mit der Sesenheimer Idylle. Heinrich Düntzer hat mit hoffnungsloser ppe_313.030 Nüchternheit nachgewiesen, daß der nächtliche Ritt nach Sesenheim ppe_313.031 niemals stattgefunden hat, sondern dem Gedicht "Willkommen ppe_313.032 und Abschied" nacherzählt wurde. Ebenso hat man feststellen müssen, ppe_313.033 daß der Familienbestand des Sesenheimer Pfarrhauses in der Zahl der ppe_313.034 Kinder dem Personal des Goldsmithschen "Vicar of Wakefield" angeglichen ppe_313.035 ist. Nachdem in kritischen Untersuchungen von Gustav ppe_313.036 v. Loeper, Gustav Roethe, Karl Alt und Kurt Jahn alle künstlerischen ppe_313.037 Rücksichten, die im Titel des Werkes gerechtfertigt sind, alle Schwächen ppe_313.038 von Goethes Gedächtnis und alle Hilfsmittel, die er benutzte, ppe_313.039 erkannt wurden, bleibt die höhere Wahrheit des Kunstwerkes bestehen;
ppe_313.001 oder mythenbildenden Kraft der Persönlichkeit. Sie gibt nur den ppe_313.002 Charakter, nicht die geschichtliche Wirklichkeit des Helden wieder.“
ppe_313.003 Wenn Nietzsche sagt, aus drei Anekdoten sei es möglich, das Bild ppe_313.004 eines Menschen zu geben, so rechnete er mit der Treffsicherheit des ppe_313.005 Karikaturisten. Wird der Dichter zum Anekdotenhelden, so pflegen ppe_313.006 allgemein-menschliche Züge einseitig hervorzutreten. In einem Bändchen ppe_313.007 „Gottfried-Keller-Anekdoten“ beispielsweise findet sich fast ausschließlich ppe_313.008 das Bild des rauhbeinigen Saufkumpans überliefert, das eine ppe_313.009 Maske des Dichters war.
ppe_313.010 Auf jeden Fall muß die Einschränkung gelten, daß die symbolhafte ppe_313.011 Anekdote als solche zu kennzeichnen ist und nicht mit beglaubigten ppe_313.012 Tatsachen durcheinander gebracht werden darf. Beispielsweise ist jene ppe_313.013 ergreifende Erzählung Moritz Hartmanns von dem wahnsinnigen deutschen ppe_313.014 Dichter, der wie ein Geist unter den griechischen Götterbildern ppe_313.015 eines französischen Schloßparks auftaucht, trotz ihrer symbolischen ppe_313.016 Bedeutung für den von Apoll Geschlagenen nicht als urkundlicher ppe_313.017 Aufschluß über die Erlebnisse Hölderlins bei der Heimwanderung aus ppe_313.018 Bordeaux zu verwerten.
ppe_313.019 d) Selbstbekenntnisse
ppe_313.020 Autobiographien. Die Anekdote spielt auch in den Selbstdarstellungen, ppe_313.021 die für die Technik der Biographie vorbildlich wurden, ppe_313.022 eine wichtige Rolle. In „Dichtung und Wahrheit“ bedeutet der Besuch ppe_313.023 des jungen Leipziger Studenten bei Gottsched und die Ohrfeige, die ppe_313.024 der mächtige Perückenträger dem säumigen Diener verabreicht, ein ppe_313.025 schlagkräftiges Sinnbild für die Begegnung zweier Generationen. Man ppe_313.026 wird sie deshalb nicht mit jedem Zug als wirklichen Vorfall in Goethes ppe_313.027 Leben einsetzen dürfen. Nicht anders ist es mit dem faustischen Vorklang ppe_313.028 des Frankfurter Gretchen, mit dem Märchen vom „Neuen Paris“ ppe_313.029 oder mit der Sesenheimer Idylle. Heinrich Düntzer hat mit hoffnungsloser ppe_313.030 Nüchternheit nachgewiesen, daß der nächtliche Ritt nach Sesenheim ppe_313.031 niemals stattgefunden hat, sondern dem Gedicht „Willkommen ppe_313.032 und Abschied“ nacherzählt wurde. Ebenso hat man feststellen müssen, ppe_313.033 daß der Familienbestand des Sesenheimer Pfarrhauses in der Zahl der ppe_313.034 Kinder dem Personal des Goldsmithschen „Vicar of Wakefield“ angeglichen ppe_313.035 ist. Nachdem in kritischen Untersuchungen von Gustav ppe_313.036 v. Loeper, Gustav Roethe, Karl Alt und Kurt Jahn alle künstlerischen ppe_313.037 Rücksichten, die im Titel des Werkes gerechtfertigt sind, alle Schwächen ppe_313.038 von Goethes Gedächtnis und alle Hilfsmittel, die er benutzte, ppe_313.039 erkannt wurden, bleibt die höhere Wahrheit des Kunstwerkes bestehen;
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allgemein-menschliche Züge einseitig hervorzutreten. In einem Bändchen ppe_313.007
„Gottfried-Keller-Anekdoten“ beispielsweise findet sich fast ausschließlich ppe_313.008
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/337>, abgerufen am 25.11.2024.
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