ppe_003.001 kulturkundlichen Fächer schließt eine oder mehrere Literaturgeschichten ppe_003.002 in sich. Die Teilung aber bedeutet nicht etwa erstarrte, durch ppe_003.003 äußere Bedingungen wie Prüfungszwang und Berufsrücksicht am ppe_003.004 Leben erhaltene Hochschulüberlieferung, sondern sie ist naturgegeben ppe_003.005 durch die Bindung jeder Literatur an eine bestimmte Sprache, die für ppe_003.006 sie Mutterboden, Werkstoff, Lebensform, Daseinsgrundlage darstellt.
ppe_003.007 Wenn man mit außerordentlicher Anspannung mehrere dieser ppe_003.008 philologischen Fächer im Studium vereinigen will, so können sie doch ppe_003.009 kaum zu gleichem Recht kommen. Noch weniger ist es dem Forscher ppe_003.010 gegeben, auf allen Gebieten eigene vorwärtsdringende Arbeit zu ppe_003.011 leisten. Schon der Sprachkenntnis und noch mehr der Literaturbeherrschung ppe_003.012 sind physische Grenzen gesetzt. Wohl gab es einmal ppe_003.013 das Wunder Giuseppe Mezzofanti, der am Ende seines 75jährigen ppe_003.014 Lebens einer Kenntnis von 58 Sprachen mächtig war; er konnte sie ppe_003.015 sprechen und ihre Grammatik verstehen; aber in ebenso vielen Literaturen ppe_003.016 sich Belesenheit erworben zu haben, dieser Leistung konnte ppe_003.017 er sich nicht rühmen. Es gab eine philologische Genialität wie die ppe_003.018 von Eduard Sievers, der sich zutraute, auch in Sprachen, die er nicht ppe_003.019 verstand, das Echte und Verfälschte einer Überlieferung herauszuhören ppe_003.020 mit den von ihm entwickelten Mitteln der Schallanalyse; aber ppe_003.021 den Geist dieser Sprachen und Literaturen zu ergründen, dazu hätte ppe_003.022 nicht so sehr die Fähigkeit als die Einstellung und Lebensdauer gefehlt. ppe_003.023 In dem betagten Münchener Anglisten Josef Schick gibt es ppe_003.024 einen Forscher, der alle Sprachen und Schriften des Orients, in denen ppe_003.025 etwas von der Hamlet-Sage Zusammenhängendes überliefert ist, ppe_003.026 eigens erlernt, um diese Texte in ihrer ursprünglichen Form mit ppe_003.027 philologischer Gewissenhaftigkeit seinem "Corpus Hamleticum" einzuverleiben; ppe_003.028 aber diese Energie verschwendet ihre Stoßkraft in ppe_003.029 einseitiger Richtung. Es gibt französische Literaturhistoriker elsässischer ppe_003.030 Herkunft und Schweizer von interkantonaler Zugehörigkeit, ppe_003.031 die durch mehrere Muttersprachen begünstigt sind. Auch in Arturo ppe_003.032 Farinelli haben wir einen Forscher, den der Gang seines Lebens ppe_003.033 und seine Begabung befähigten, sowohl die germanischen als die ppe_003.034 romanischen Literaturen in ihren Sprachen mit bewundernswertem ppe_003.035 Gleichmaß zu beherrschen. Aber das ist der höchste heute erreichbare ppe_003.036 Umfang, und gerade Farinelli hat sich aufs entschiedenste ppe_003.037 gegen die Möglichkeit einer Weltliteraturgeschichte erklärt: "Alles ppe_003.038 Wirkliche hat ja sein Maß, all unser Forschen eine Beschränkung. ppe_003.039 Nicht nach der Weite, sondern nach der Tiefe müssen wir streben; ppe_003.040 nicht die unbegrenzte äußere Welt, sondern das unbegrenzte Individuum ppe_003.041 sollen wir ergründen. Wozu die endlosen Gräberstätten der
ppe_003.001 kulturkundlichen Fächer schließt eine oder mehrere Literaturgeschichten ppe_003.002 in sich. Die Teilung aber bedeutet nicht etwa erstarrte, durch ppe_003.003 äußere Bedingungen wie Prüfungszwang und Berufsrücksicht am ppe_003.004 Leben erhaltene Hochschulüberlieferung, sondern sie ist naturgegeben ppe_003.005 durch die Bindung jeder Literatur an eine bestimmte Sprache, die für ppe_003.006 sie Mutterboden, Werkstoff, Lebensform, Daseinsgrundlage darstellt.
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/27>, abgerufen am 22.11.2024.
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