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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944.

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Petschs Stoffanalyse stellt nun sogenannte Kernstücke in den Mittelpunkt, ppe_171.002
nämlich die eigentlichen Hauptmotive, die zu Problemträgern ppe_171.003
werden, und scheidet von ihnen die Rahmenstücke, die den zeitlichen ppe_171.004
Hintergrund und die örtliche Festlegung betreffen. Er fügt noch Füllmotive ppe_171.005
hinzu, die als sinnliche Einzelheiten zur Verbindung der ppe_171.006
Kern- und Rahmenstücke dienen; schließlich gelangt er noch zu ppe_171.007
kleineren Elementen, die als wirklich unteilbare Atome anzusehen ppe_171.008
sind. Er nennt sie Züge und gibt als Beispiel die bunte Schlange, die ppe_171.009
sich vom Baum herabwindet.

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Man sieht, daß Petsch von der Märchenforschung herkommt, die ppe_171.011
in der Zergliederung und Registrierung der Motive das einzige Ordnungsprinzip ppe_171.012
für eine unübersehbare internationale Überlieferung ppe_171.013
finden kann. Die Unterscheidung zwischen Motiv und Zug führt ppe_171.014
wieder darauf zurück, daß beim Motiv eine seelische Beziehung ppe_171.015
walten muß entweder von Mensch zu Mensch (oder auch von Tier zu ppe_171.016
Tier in der anthropomorphisierten Fabel) oder vom Menschen zu den ppe_171.017
Dingen, zur Natur, zur Landschaft oder auch in entgegengesetzter ppe_171.018
Richtung als Eindruck der Natur auf die Stimmung des Menschen. ppe_171.019
Das, was als Zug bezeichnet wird, ist dagegen etwas Vereinzeltes; es ppe_171.020
kann auch der Zug eines Charakters sein oder eine Leidenschaft wie ppe_171.021
Haß oder Liebe; aber erst die Auswirkungen von Charakteren in einer ppe_171.022
bestimmten Richtung der Leidenschaft wie der Haß zwischen Vater ppe_171.023
und Sohn oder zwischen feindlichen Brüdern und die Liebe zur Stiefmutter ppe_171.024
oder zum Idealbild einer fernen Traumerscheinung werden ppe_171.025
dichterische Motive. Der Zug kann auch in der eigenartigen Ausschmückung ppe_171.026
eines Gegenstandes, eines Dinges, eines Menschen bestehen, ppe_171.027
und seelische Bedeutung kann er dann gewinnen, wenn er ppe_171.028
als Symbol verwendet wird, wie es Helmut Rehder an der Bedeutung ppe_171.029
der Hütte in Goethes Dichtung gezeigt hat. Wir werden aber sehen, ppe_171.030
daß noch ein weiterer Teilbegriff des Motivs möglich ist, nämlich ppe_171.031
das poetische Bild.

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Wenn der aus Scherers Schule stammende Otto Brahm in seinem ppe_171.033
Buch über die deutschen Ritterdramen des 18. Jahrhunderts charakteristische ppe_171.034
Motive aufzählte, so machte er keinen Unterschied zwischen ppe_171.035
technischer Handlungsvermittlung (Betrachtung von Vorgängen hinter ppe_171.036
der Szene), Schauplatz (Kerker, Herberge), Charakteren (falscher ppe_171.037
Freund), Nebenpersonen (Kinder, Einsiedler, Pilger), Situationen ppe_171.038
(Liebe zwischen den Kindern feindlicher Geschlechter, Streit zweier ppe_171.039
Männer um eine Frau) und dem, was wir wirklich Motiv nennen ppe_171.040
wollen (Gefährdung eines geliebten Lebens, erdichtete Todesbotschaft, ppe_171.041
Weiberraub, Entehrung, Gottesgericht, erzwungene Ehe). Auch

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Petschs Stoffanalyse stellt nun sogenannte Kernstücke in den Mittelpunkt, ppe_171.002
nämlich die eigentlichen Hauptmotive, die zu Problemträgern ppe_171.003
werden, und scheidet von ihnen die Rahmenstücke, die den zeitlichen ppe_171.004
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sind. Er nennt sie Züge und gibt als Beispiel die bunte Schlange, die ppe_171.009
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Man sieht, daß Petsch von der Märchenforschung herkommt, die ppe_171.011
in der Zergliederung und Registrierung der Motive das einzige Ordnungsprinzip ppe_171.012
für eine unübersehbare internationale Überlieferung ppe_171.013
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walten muß entweder von Mensch zu Mensch (oder auch von Tier zu ppe_171.016
Tier in der anthropomorphisierten Fabel) oder vom Menschen zu den ppe_171.017
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Das, was als Zug bezeichnet wird, ist dagegen etwas Vereinzeltes; es ppe_171.020
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Haß oder Liebe; aber erst die Auswirkungen von Charakteren in einer ppe_171.022
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als Symbol verwendet wird, wie es Helmut Rehder an der Bedeutung ppe_171.029
der Hütte in Goethes Dichtung gezeigt hat. Wir werden aber sehen, ppe_171.030
daß noch ein weiterer Teilbegriff des Motivs möglich ist, nämlich ppe_171.031
das poetische Bild.

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Wenn der aus Scherers Schule stammende Otto Brahm in seinem ppe_171.033
Buch über die deutschen Ritterdramen des 18. Jahrhunderts charakteristische ppe_171.034
Motive aufzählte, so machte er keinen Unterschied zwischen ppe_171.035
technischer Handlungsvermittlung (Betrachtung von Vorgängen hinter ppe_171.036
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[171/0195] ppe_171.001 Petschs Stoffanalyse stellt nun sogenannte Kernstücke in den Mittelpunkt, ppe_171.002 nämlich die eigentlichen Hauptmotive, die zu Problemträgern ppe_171.003 werden, und scheidet von ihnen die Rahmenstücke, die den zeitlichen ppe_171.004 Hintergrund und die örtliche Festlegung betreffen. Er fügt noch Füllmotive ppe_171.005 hinzu, die als sinnliche Einzelheiten zur Verbindung der ppe_171.006 Kern- und Rahmenstücke dienen; schließlich gelangt er noch zu ppe_171.007 kleineren Elementen, die als wirklich unteilbare Atome anzusehen ppe_171.008 sind. Er nennt sie Züge und gibt als Beispiel die bunte Schlange, die ppe_171.009 sich vom Baum herabwindet. ppe_171.010 Man sieht, daß Petsch von der Märchenforschung herkommt, die ppe_171.011 in der Zergliederung und Registrierung der Motive das einzige Ordnungsprinzip ppe_171.012 für eine unübersehbare internationale Überlieferung ppe_171.013 finden kann. Die Unterscheidung zwischen Motiv und Zug führt ppe_171.014 wieder darauf zurück, daß beim Motiv eine seelische Beziehung ppe_171.015 walten muß entweder von Mensch zu Mensch (oder auch von Tier zu ppe_171.016 Tier in der anthropomorphisierten Fabel) oder vom Menschen zu den ppe_171.017 Dingen, zur Natur, zur Landschaft oder auch in entgegengesetzter ppe_171.018 Richtung als Eindruck der Natur auf die Stimmung des Menschen. ppe_171.019 Das, was als Zug bezeichnet wird, ist dagegen etwas Vereinzeltes; es ppe_171.020 kann auch der Zug eines Charakters sein oder eine Leidenschaft wie ppe_171.021 Haß oder Liebe; aber erst die Auswirkungen von Charakteren in einer ppe_171.022 bestimmten Richtung der Leidenschaft wie der Haß zwischen Vater ppe_171.023 und Sohn oder zwischen feindlichen Brüdern und die Liebe zur Stiefmutter ppe_171.024 oder zum Idealbild einer fernen Traumerscheinung werden ppe_171.025 dichterische Motive. Der Zug kann auch in der eigenartigen Ausschmückung ppe_171.026 eines Gegenstandes, eines Dinges, eines Menschen bestehen, ppe_171.027 und seelische Bedeutung kann er dann gewinnen, wenn er ppe_171.028 als Symbol verwendet wird, wie es Helmut Rehder an der Bedeutung ppe_171.029 der Hütte in Goethes Dichtung gezeigt hat. Wir werden aber sehen, ppe_171.030 daß noch ein weiterer Teilbegriff des Motivs möglich ist, nämlich ppe_171.031 das poetische Bild. ppe_171.032 Wenn der aus Scherers Schule stammende Otto Brahm in seinem ppe_171.033 Buch über die deutschen Ritterdramen des 18. Jahrhunderts charakteristische ppe_171.034 Motive aufzählte, so machte er keinen Unterschied zwischen ppe_171.035 technischer Handlungsvermittlung (Betrachtung von Vorgängen hinter ppe_171.036 der Szene), Schauplatz (Kerker, Herberge), Charakteren (falscher ppe_171.037 Freund), Nebenpersonen (Kinder, Einsiedler, Pilger), Situationen ppe_171.038 (Liebe zwischen den Kindern feindlicher Geschlechter, Streit zweier ppe_171.039 Männer um eine Frau) und dem, was wir wirklich Motiv nennen ppe_171.040 wollen (Gefährdung eines geliebten Lebens, erdichtete Todesbotschaft, ppe_171.041 Weiberraub, Entehrung, Gottesgericht, erzwungene Ehe). Auch

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Zitationshilfe: Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/195>, abgerufen am 24.11.2024.