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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944.

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Daneben kommen die halb bewußten, halb unbewußten Vorbilder ppe_164.002
in Betracht. Es liegt auf der Hand, daß realistische Menschendarstellung ppe_164.003
auf einen Schatz eigener Lebenserfahrung und auf Beobachtung ppe_164.004
der umgebenden Welt angewiesen ist. Der Dichter müßte blind und ppe_164.005
taub sein, dem nicht die Eindrücke der Menschen, denen er begegnete, ppe_164.006
sich einprägten. Wie das Skizzenbuch des Zeichners, überliefern Auge ppe_164.007
und Ohr dem Gedächtnis eine Fülle charakteristischer Züge, Bewegungen ppe_164.008
und Äußerungen, die sich zu einem eigenen physiognomischen ppe_164.009
System verdichten. Danach werden Mienen, Haltung, Kleidung, ppe_164.010
Gang, Ausdrucksbewegungen und Sprache charakterisiert. Ist es schon ppe_164.011
für den unproduktiven Beobachter des Lebens ein angeregtes Spiel, ppe_164.012
sich über Schicksale und Charaktere unbekannter Personen Gedanken ppe_164.013
zu machen im Blick auf die äußere Erscheinung, in der man den ppe_164.014
Schlüssel ihres Wesens sucht, so wird dichterische Einbildungskraft ppe_164.015
erst recht durch jede Wahrnehmung auffallender Eigentümlichkeiten ppe_164.016
angeregt. Hoffmannsche Erzählungen wie "Das öde Haus" und "Des ppe_164.017
Vetters Eckfenster" geben Beispiele dafür, wie eine ungehemmte ppe_164.018
Phantastik durch problematische Wirklichkeitsbeobachtung in ppe_164.019
Schwung gesetzt wird. Ein anderer Fall ist der des Komponisten ppe_164.020
Schreker, der auf den Text seiner Oper "Irrelohe" gekommen sein ppe_164.021
will, als der Eisenbahnzug an einer Station dieses Namens hielt.

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Auch die Namengebung gehört zu den bedeutsamen Charakterisierungsmitteln, ppe_164.023
für die gegebene Anhaltspunkte benutzt werden. Die ppe_164.024
althergebrachten Schlüsselromane wählen entweder allegorische Bezeichnungen, ppe_164.025
die der gemeinten Person und ihrer Stellung entsprechen, ppe_164.026
oder sie beschränken sich auf mehr oder weniger durchsichtige Entstellung ppe_164.027
echter Namen, sei es in Anagrammen oder Analogiebildung. ppe_164.028
An deren Stelle trat im 18. Jahrhundert die scheinbare Diskretion der ppe_164.029
Chiffern (Gräfin v. G., Prinz von **); im bürgerlichen Lustspiel kamen ppe_164.030
die redenden Namen als Etikette des Charakters auf (Herr Ehrlich, ppe_164.031
Frau Eigenlieb); der Sturm und Drang liebte die Verherrlichung von ppe_164.032
Freunden als Nebenpersonen unter ihren wahren Namen (Goethes ppe_164.033
Lerse, Schillers Pastor Moser), während Goethes klassischer Stil sich ppe_164.034
mit den Vornamen begnügte ("Eduard -- so nennen wir einen reichen ppe_164.035
Baron im besten Mannesalter"). Der humoristische Roman macht ppe_164.036
sich Namen von komischer Wirkung, die es in der Wirklichkeit ppe_164.037
wohl geben mochte, zunutze (Siebenkäs, Kuhschnappel), während der ppe_164.038
Realismus und Naturalismus in Erzählung und Drama zur unaufdringlichen ppe_164.039
Charakteristik durch symbolische Namen gelangte, bei denen ppe_164.040
das Bezeichnende weniger im Sinn als in der Klangwirkung liegt. ppe_164.041
Ein besonderer Trick des Realismus, wie ihn etwa Fontane handhabte,

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Daneben kommen die halb bewußten, halb unbewußten Vorbilder ppe_164.002
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Schreker, der auf den Text seiner Oper „Irrelohe“ gekommen sein ppe_164.021
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Zitationshilfe: Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/188>, abgerufen am 24.11.2024.