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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944.

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Sicherheit. Dazu gehört eigene Erfahrung in Selbstkritik und ppe_143.002
erprobtem Erfolg. Aber gesättigte Ausnutzung dieser Erfahrungen in ppe_143.003
Wiederholung bewährter Effekte würde nur billige Routine sein. ppe_143.004
Technik dagegen ist alte Tradition in steter Erneuerung; Nutznießung ppe_143.005
tausendjähriger Erfahrung mit der Verpflichtung, sie weiterzuführen; ppe_143.006
Gebundenheit im Drang nach Freiheit, in Fluß gehaltene Evolution ppe_143.007
im Gegensatz zu drohender Erstarrung; umstürzlerisches Aufbegehren ppe_143.008
innerhalb der Fügung der Gesetze.

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So führt Technik zum Begriff der Gattung zurück als Auseinandersetzung ppe_143.010
mit den durch die Formwahl übernommenen Bedingungen. ppe_143.011
In der Tat können wir kaum von einer allgemeinen Technik der ppe_143.012
Dichtung sprechen. Wenn es eine Dichtungstechnik schlechthin gibt, ppe_143.013
kann sie nur in der Gestaltung der Sprache und in der Handhabung ppe_143.014
ihrer Ausdrucksmöglichkeiten bestehen. So wie es keine Technik ppe_143.015
der bildenden Kunst schlechthin gibt, sondern Technik der Malerei, ppe_143.016
der Skulptur, der Graphik, so haben wir es auch hier mit gattungsgespaltener ppe_143.017
Technik zu tun. Die Spaltung liegt zwar nicht im Material ppe_143.018
begründet wie bei der bildenden Kunst, und nicht in den Instrumenten ppe_143.019
wie bei der Musik, aber in der Stellung zum Gegenstand und in ppe_143.020
seiner Vermittlung. Wir beobachten die Übung dialogischer Handlungsentwicklung ppe_143.021
im Drama, monologischer Seelendarstellung in der ppe_143.022
Lyrik und erzählenden Berichtes in der Epik. Die mannigfaltigste ppe_143.023
Bereicherung der technischen Spielarten aber liegt darin, daß innerhalb ppe_143.024
jeder Gattung auch solche technische Mittel zur Anwendung ppe_143.025
kommen können, die vorzugsweise den anderen Gattungen angehören, ppe_143.026
nämlich Dialogisches in der Epik, Erzählendes in der Lyrik, Seelischzuständliches ppe_143.027
im Drama.

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Wenn wir beim Drama unverbrüchliche Gattungsgesetze ablehnen, ppe_143.029
wie sie etwa die auf Aristoteles zurückgehende Renaissancepoetik ppe_143.030
und besonders die Regelgebung des französischen Klassizismus ppe_143.031
in den drei Einheiten aufgestellt hatte, so dürfen wir doch nicht ppe_143.032
verkennen, daß eine Zusammendrängung des Sprengstoffes zum Wesen ppe_143.033
der dramatischen Handlungsführung gehört und daß vom Zusammenprallen ppe_143.034
der Gegensätze, von prägnanter Schicksalsverkettung und ppe_143.035
schlagartiger Folge die befreiende Wirkung abhängig ist, die sowohl ppe_143.036
der tragischen als der komischen Stimmung entspricht. Eine Tendenz ppe_143.037
zur Vereinheitlichung und Zusammenballung seelischer Energien war ppe_143.038
nicht nur in der Raumform der antiken Bühne, die auf die ständige ppe_143.039
Anwesenheit des Chores berechnet war, begründet; sie ist es ebenso

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im Gegensatz zu drohender Erstarrung; umstürzlerisches Aufbegehren ppe_143.008
innerhalb der Fügung der Gesetze.

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So führt Technik zum Begriff der Gattung zurück als Auseinandersetzung ppe_143.010
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In der Tat können wir kaum von einer allgemeinen Technik der ppe_143.012
Dichtung sprechen. Wenn es eine Dichtungstechnik schlechthin gibt, ppe_143.013
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im Drama, monologischer Seelendarstellung in der ppe_143.022
Lyrik und erzählenden Berichtes in der Epik. Die mannigfaltigste ppe_143.023
Bereicherung der technischen Spielarten aber liegt darin, daß innerhalb ppe_143.024
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nämlich Dialogisches in der Epik, Erzählendes in der Lyrik, Seelischzuständliches ppe_143.027
im Drama.

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Wenn wir beim Drama unverbrüchliche Gattungsgesetze ablehnen, ppe_143.029
wie sie etwa die auf Aristoteles zurückgehende Renaissancepoetik ppe_143.030
und besonders die Regelgebung des französischen Klassizismus ppe_143.031
in den drei Einheiten aufgestellt hatte, so dürfen wir doch nicht ppe_143.032
verkennen, daß eine Zusammendrängung des Sprengstoffes zum Wesen ppe_143.033
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[143/0167] ppe_143.001 Sicherheit. Dazu gehört eigene Erfahrung in Selbstkritik und ppe_143.002 erprobtem Erfolg. Aber gesättigte Ausnutzung dieser Erfahrungen in ppe_143.003 Wiederholung bewährter Effekte würde nur billige Routine sein. ppe_143.004 Technik dagegen ist alte Tradition in steter Erneuerung; Nutznießung ppe_143.005 tausendjähriger Erfahrung mit der Verpflichtung, sie weiterzuführen; ppe_143.006 Gebundenheit im Drang nach Freiheit, in Fluß gehaltene Evolution ppe_143.007 im Gegensatz zu drohender Erstarrung; umstürzlerisches Aufbegehren ppe_143.008 innerhalb der Fügung der Gesetze. ppe_143.009 So führt Technik zum Begriff der Gattung zurück als Auseinandersetzung ppe_143.010 mit den durch die Formwahl übernommenen Bedingungen. ppe_143.011 In der Tat können wir kaum von einer allgemeinen Technik der ppe_143.012 Dichtung sprechen. Wenn es eine Dichtungstechnik schlechthin gibt, ppe_143.013 kann sie nur in der Gestaltung der Sprache und in der Handhabung ppe_143.014 ihrer Ausdrucksmöglichkeiten bestehen. So wie es keine Technik ppe_143.015 der bildenden Kunst schlechthin gibt, sondern Technik der Malerei, ppe_143.016 der Skulptur, der Graphik, so haben wir es auch hier mit gattungsgespaltener ppe_143.017 Technik zu tun. Die Spaltung liegt zwar nicht im Material ppe_143.018 begründet wie bei der bildenden Kunst, und nicht in den Instrumenten ppe_143.019 wie bei der Musik, aber in der Stellung zum Gegenstand und in ppe_143.020 seiner Vermittlung. Wir beobachten die Übung dialogischer Handlungsentwicklung ppe_143.021 im Drama, monologischer Seelendarstellung in der ppe_143.022 Lyrik und erzählenden Berichtes in der Epik. Die mannigfaltigste ppe_143.023 Bereicherung der technischen Spielarten aber liegt darin, daß innerhalb ppe_143.024 jeder Gattung auch solche technische Mittel zur Anwendung ppe_143.025 kommen können, die vorzugsweise den anderen Gattungen angehören, ppe_143.026 nämlich Dialogisches in der Epik, Erzählendes in der Lyrik, Seelischzuständliches ppe_143.027 im Drama. ppe_143.028 Wenn wir beim Drama unverbrüchliche Gattungsgesetze ablehnen, ppe_143.029 wie sie etwa die auf Aristoteles zurückgehende Renaissancepoetik ppe_143.030 und besonders die Regelgebung des französischen Klassizismus ppe_143.031 in den drei Einheiten aufgestellt hatte, so dürfen wir doch nicht ppe_143.032 verkennen, daß eine Zusammendrängung des Sprengstoffes zum Wesen ppe_143.033 der dramatischen Handlungsführung gehört und daß vom Zusammenprallen ppe_143.034 der Gegensätze, von prägnanter Schicksalsverkettung und ppe_143.035 schlagartiger Folge die befreiende Wirkung abhängig ist, die sowohl ppe_143.036 der tragischen als der komischen Stimmung entspricht. Eine Tendenz ppe_143.037 zur Vereinheitlichung und Zusammenballung seelischer Energien war ppe_143.038 nicht nur in der Raumform der antiken Bühne, die auf die ständige ppe_143.039 Anwesenheit des Chores berechnet war, begründet; sie ist es ebenso

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Zitationshilfe: Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/167>, abgerufen am 25.11.2024.