ppe_080.001 zugrunde liegende Belesenheit des Josef-Dichters nirgends anders als ppe_080.002 in der Bibliothek des Herrn Rat zu erwerben war. Die Karikatur ppe_080.003 philologischer Methoden führte auf Irrwege. Stärker waren, von ppe_080.004 Geschmacks- und Stilkritik abgesehen, die unwiderleglichen sprachlichen ppe_080.005 Kriterien. Nach Reimgebrauch und Wortschatz ist dieses Werk ppe_080.006 eines frommen Pietisten, wie sich auf Grund des Deutschen Sprachatlas ppe_080.007 geographisch abgrenzen läßt, nach Norddeutschland, und zwar ppe_080.008 gerade in die Gegend von Altona zu verweisen, womit jeder Anteil ppe_080.009 des jungen Goethe ausgeschlossen wird. Ein einziges Wort, nämlich ppe_080.010 das nord-ostdeutsche "Scheune" statt des südwestdeutschen "Scheuer" ppe_080.011 hätte hierfür schon entscheidend sein können.
ppe_080.012 Wenn in diesem Falle die Beurteilung der Handschrift nicht maßgebend ppe_080.013 sein konnte, so gibt es wiederum Fälle, bei denen überhaupt ppe_080.014 nicht die Echtheit der Schrift anzuzweifeln ist, sondern nur die des ppe_080.015 Textes, der einem anderen als dem Schreiber zugesprochen werden ppe_080.016 kann. Daß es sich um keine Urschrift, sondern um eine fremde Abschrift ppe_080.017 handelt, kann sowohl durch die mechanische Sauberkeit der ppe_080.018 Schriftzüge als durch Verschreibungen und Auslassungen sich verraten. ppe_080.019 So stellte Jos. Bedier in einer berühmt gewordenen scharfsinnigen ppe_080.020 Untersuchung fest, daß die Schrift "Le paradoxe sur le ppe_080.021 comedien" nicht deshalb Diderot aberkannt zu werden braucht, weil ppe_080.022 sie in der Handschrift Naigeons erhalten ist, denn diese erweist sich ppe_080.023 als Abschrift.
ppe_080.024 Ungeklärt ist der Fall bei einem in Tiecks Nachlaß befindlichen ppe_080.025 Drama "Das Reh", das in der Handschrift des vielleicht beteiligten ppe_080.026 Freundes Schmohl überliefert ist; von dessen eigenem Stil liegen zu ppe_080.027 wenig Proben vor, als daß eine Untersuchung angestellt werden könnte. ppe_080.028 Noch schwieriger ist die Entscheidung bei einem in Lessings Nachlaß ppe_080.029 gefundenen einaktigen Drama "Zorade", dessen Handschrift nicht ppe_080.030 die Lessings ist, während einige kritische Randbemerkungen möglicherweise ppe_080.031 ihm zuzuschreiben sind. Solange die Hand des Schreibers ppe_080.032 nicht ermittelt ist, läßt sich zu keinem Schluß über die Verfasserschaft ppe_080.033 kommen. Sobald man aber nicht an Lessing als Verfasser zu denken ppe_080.034 hat, besitzt das Stück keine Bedeutung mehr.
ppe_080.035 Klarer sieht man bei dem als "Ältestes Systemprogramm des deutschen ppe_080.036 Idealismus" bezeichneten Schriftstück, das als Niederschrift ppe_080.037 Hegels in seinem Nachlaß gefunden wurde. Die Interpretation der ppe_080.038 Schriftzüge stellt außer Zweifel, daß es sich um keine erste Aufzeichnung, ppe_080.039 sondern um die Wiederholung eines fremden Textes handelt. ppe_080.040 Und nun wird um die Priorität der Freunde Schelling oder Hölderlin ppe_080.041 gestritten -- eine Frage, die wegen der gleichen Herkunft und
ppe_080.001 zugrunde liegende Belesenheit des Josef-Dichters nirgends anders als ppe_080.002 in der Bibliothek des Herrn Rat zu erwerben war. Die Karikatur ppe_080.003 philologischer Methoden führte auf Irrwege. Stärker waren, von ppe_080.004 Geschmacks- und Stilkritik abgesehen, die unwiderleglichen sprachlichen ppe_080.005 Kriterien. Nach Reimgebrauch und Wortschatz ist dieses Werk ppe_080.006 eines frommen Pietisten, wie sich auf Grund des Deutschen Sprachatlas ppe_080.007 geographisch abgrenzen läßt, nach Norddeutschland, und zwar ppe_080.008 gerade in die Gegend von Altona zu verweisen, womit jeder Anteil ppe_080.009 des jungen Goethe ausgeschlossen wird. Ein einziges Wort, nämlich ppe_080.010 das nord-ostdeutsche „Scheune“ statt des südwestdeutschen „Scheuer“ ppe_080.011 hätte hierfür schon entscheidend sein können.
ppe_080.012 Wenn in diesem Falle die Beurteilung der Handschrift nicht maßgebend ppe_080.013 sein konnte, so gibt es wiederum Fälle, bei denen überhaupt ppe_080.014 nicht die Echtheit der Schrift anzuzweifeln ist, sondern nur die des ppe_080.015 Textes, der einem anderen als dem Schreiber zugesprochen werden ppe_080.016 kann. Daß es sich um keine Urschrift, sondern um eine fremde Abschrift ppe_080.017 handelt, kann sowohl durch die mechanische Sauberkeit der ppe_080.018 Schriftzüge als durch Verschreibungen und Auslassungen sich verraten. ppe_080.019 So stellte Jos. Bédier in einer berühmt gewordenen scharfsinnigen ppe_080.020 Untersuchung fest, daß die Schrift „Le paradoxe sur le ppe_080.021 comédien“ nicht deshalb Diderot aberkannt zu werden braucht, weil ppe_080.022 sie in der Handschrift Naigeons erhalten ist, denn diese erweist sich ppe_080.023 als Abschrift.
ppe_080.024 Ungeklärt ist der Fall bei einem in Tiecks Nachlaß befindlichen ppe_080.025 Drama „Das Reh“, das in der Handschrift des vielleicht beteiligten ppe_080.026 Freundes Schmohl überliefert ist; von dessen eigenem Stil liegen zu ppe_080.027 wenig Proben vor, als daß eine Untersuchung angestellt werden könnte. ppe_080.028 Noch schwieriger ist die Entscheidung bei einem in Lessings Nachlaß ppe_080.029 gefundenen einaktigen Drama „Zorade“, dessen Handschrift nicht ppe_080.030 die Lessings ist, während einige kritische Randbemerkungen möglicherweise ppe_080.031 ihm zuzuschreiben sind. Solange die Hand des Schreibers ppe_080.032 nicht ermittelt ist, läßt sich zu keinem Schluß über die Verfasserschaft ppe_080.033 kommen. Sobald man aber nicht an Lessing als Verfasser zu denken ppe_080.034 hat, besitzt das Stück keine Bedeutung mehr.
ppe_080.035 Klarer sieht man bei dem als „Ältestes Systemprogramm des deutschen ppe_080.036 Idealismus“ bezeichneten Schriftstück, das als Niederschrift ppe_080.037 Hegels in seinem Nachlaß gefunden wurde. Die Interpretation der ppe_080.038 Schriftzüge stellt außer Zweifel, daß es sich um keine erste Aufzeichnung, ppe_080.039 sondern um die Wiederholung eines fremden Textes handelt. ppe_080.040 Und nun wird um die Priorität der Freunde Schelling oder Hölderlin ppe_080.041 gestritten — eine Frage, die wegen der gleichen Herkunft und
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Geschmacks- und Stilkritik abgesehen, die unwiderleglichen sprachlichen ppe_080.005
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Wenn in diesem Falle die Beurteilung der Handschrift nicht maßgebend ppe_080.013
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nicht die Echtheit der Schrift anzuzweifeln ist, sondern nur die des ppe_080.015
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/104>, abgerufen am 22.11.2024.
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