ppe_076.001 in einem angeblich eigenhändigen Manuskript des "König ppe_076.002 Lear" über zwanzig verschiedene Wasserzeichen als Kennzeichen der ppe_076.003 Unechtheit nachweisen. Die Handschrift stammte von William Henry ppe_076.004 Ireland, der aus Shakespeare-Enthusiasmus zum Fälscher geworden ppe_076.005 war; er hatte sich das verschiedenartige alte Papier aus Vorsatzblättern ppe_076.006 von Drucken der Shakespearezeit zusammengeschnitten.
ppe_076.007 Ein anderes Beispiel: Durch Max Herrmann wurde einmal der Berliner ppe_076.008 "Gesellschaft für deutsche Literatur" ein Buch vorgelegt, dessen ppe_076.009 ehemalige Zugehörigkeit zu Luthers Bibliothek durch dessen eigenhändigen ppe_076.010 Besitzvermerk gewährleistet schien. Auf seinem Vorsatzblatt ppe_076.011 war in des Reformators eigener Hand das Lied "Ein feste Burg ist ppe_076.012 unser Gott" zu lesen. Es mußte, ohne daß besondere Erregungszeichen ppe_076.013 der Schrift es verrieten, die Uraufzeichnung sein, denn sie überlieferte ppe_076.014 in dem nachher durchgestrichenen und ersetzten Anfang "Mein Gott ppe_076.015 ist eine feste Burg" eine bisher unbekannte Fassung. Schriftsachverständige ppe_076.016 hatten die Züge der Lutherischen Normalschrift anerkannt. ppe_076.017 Aber der Gerichtschemiker, dem das corpus delicti vorgelegt wurde, ppe_076.018 entschied anders. Das Papier der Aufzeichnung war alt, und echt war ppe_076.019 nur dieses. Die Tinte war von einer im 16. Jahrhundert nicht gebräuchlichen ppe_076.020 Zusammensetzung. Bei mikroskopischer Vergrößerung ppe_076.021 zeigten sich Tintenspritzer, die dem bloßen Auge nicht erkennbar ppe_076.022 waren; sie verdankten einem Wurmloch, an dem die Feder hängen ppe_076.023 geblieben war, ihre Entstehung. Also war die Einzeichnung in einem ppe_076.024 Zeitpunkt erfolgt, in dem der Bohrwurm seine Tätigkeit bereits durchgeführt ppe_076.025 hatte; das Buch muß damals schon einige hundert Jahre alt ppe_076.026 gewesen sein. Und nun stellte sich heraus, daß das Berliner Kriminalmuseum ppe_076.027 ein paar Dutzend auf denselben Vater zurückgehende Geschwisterkinder ppe_076.028 aufbewahrte als Erinnerung an einen Prozeß, der ppe_076.029 Jahrzehnte vorher einem gewerbsmäßigen Fälscher namens Kyrieleis, ppe_076.030 der sich auf Herstellung von Lutherhandschriften verlegt hatte, ppe_076.031 gemacht worden war. In derselben Weise war um die Mitte des ppe_076.032 19. Jahrhunderts dem Weimarer Gerstenbergk als fabrikmäßigem Hersteller ppe_076.033 von Schillerhandschriften das Handwerk gelegt worden.
ppe_076.034 Solche Prozesse hat die Geschichtswissenschaft in unzähliger Menge ppe_076.035 vor ihrem eigenen Tribunal zu führen, nur daß die Schuldigen nicht ppe_076.036 mehr erreichbar sind. Auch sind sie nicht eigentlich in den unbekannten ppe_076.037 Herstellern gefälschter mittelalterlicher Urkunden zu ppe_076.038 sehen, die es vielleicht für Gotteslohn taten, sondern in den Auftraggebern, ppe_076.039 für die weit größere Belange an politischen Rechtsansprüchen ppe_076.040 auf dem Spiel standen. Da aus dem Mittelalter fast ebensoviel unechte ppe_076.041 Urkunden, Annalen, Chroniken und Memoiren überliefert sind
ppe_076.001 in einem angeblich eigenhändigen Manuskript des „König ppe_076.002 Lear“ über zwanzig verschiedene Wasserzeichen als Kennzeichen der ppe_076.003 Unechtheit nachweisen. Die Handschrift stammte von William Henry ppe_076.004 Ireland, der aus Shakespeare-Enthusiasmus zum Fälscher geworden ppe_076.005 war; er hatte sich das verschiedenartige alte Papier aus Vorsatzblättern ppe_076.006 von Drucken der Shakespearezeit zusammengeschnitten.
ppe_076.007 Ein anderes Beispiel: Durch Max Herrmann wurde einmal der Berliner ppe_076.008 „Gesellschaft für deutsche Literatur“ ein Buch vorgelegt, dessen ppe_076.009 ehemalige Zugehörigkeit zu Luthers Bibliothek durch dessen eigenhändigen ppe_076.010 Besitzvermerk gewährleistet schien. Auf seinem Vorsatzblatt ppe_076.011 war in des Reformators eigener Hand das Lied „Ein feste Burg ist ppe_076.012 unser Gott“ zu lesen. Es mußte, ohne daß besondere Erregungszeichen ppe_076.013 der Schrift es verrieten, die Uraufzeichnung sein, denn sie überlieferte ppe_076.014 in dem nachher durchgestrichenen und ersetzten Anfang „Mein Gott ppe_076.015 ist eine feste Burg“ eine bisher unbekannte Fassung. Schriftsachverständige ppe_076.016 hatten die Züge der Lutherischen Normalschrift anerkannt. ppe_076.017 Aber der Gerichtschemiker, dem das corpus delicti vorgelegt wurde, ppe_076.018 entschied anders. Das Papier der Aufzeichnung war alt, und echt war ppe_076.019 nur dieses. Die Tinte war von einer im 16. Jahrhundert nicht gebräuchlichen ppe_076.020 Zusammensetzung. Bei mikroskopischer Vergrößerung ppe_076.021 zeigten sich Tintenspritzer, die dem bloßen Auge nicht erkennbar ppe_076.022 waren; sie verdankten einem Wurmloch, an dem die Feder hängen ppe_076.023 geblieben war, ihre Entstehung. Also war die Einzeichnung in einem ppe_076.024 Zeitpunkt erfolgt, in dem der Bohrwurm seine Tätigkeit bereits durchgeführt ppe_076.025 hatte; das Buch muß damals schon einige hundert Jahre alt ppe_076.026 gewesen sein. Und nun stellte sich heraus, daß das Berliner Kriminalmuseum ppe_076.027 ein paar Dutzend auf denselben Vater zurückgehende Geschwisterkinder ppe_076.028 aufbewahrte als Erinnerung an einen Prozeß, der ppe_076.029 Jahrzehnte vorher einem gewerbsmäßigen Fälscher namens Kyrieleis, ppe_076.030 der sich auf Herstellung von Lutherhandschriften verlegt hatte, ppe_076.031 gemacht worden war. In derselben Weise war um die Mitte des ppe_076.032 19. Jahrhunderts dem Weimarer Gerstenbergk als fabrikmäßigem Hersteller ppe_076.033 von Schillerhandschriften das Handwerk gelegt worden.
ppe_076.034 Solche Prozesse hat die Geschichtswissenschaft in unzähliger Menge ppe_076.035 vor ihrem eigenen Tribunal zu führen, nur daß die Schuldigen nicht ppe_076.036 mehr erreichbar sind. Auch sind sie nicht eigentlich in den unbekannten ppe_076.037 Herstellern gefälschter mittelalterlicher Urkunden zu ppe_076.038 sehen, die es vielleicht für Gotteslohn taten, sondern in den Auftraggebern, ppe_076.039 für die weit größere Belange an politischen Rechtsansprüchen ppe_076.040 auf dem Spiel standen. Da aus dem Mittelalter fast ebensoviel unechte ppe_076.041 Urkunden, Annalen, Chroniken und Memoiren überliefert sind
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/100>, abgerufen am 24.11.2024.
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