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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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Kopffüllung der Menschen mit bildreichen Reli-
gionslehren, und die Hinlenkung ihres Geistes, sol-
che Meynungen als Vorschritt in wissenschaftlicher
Erleuchtung -- und als Gegenstand ihres Nachden-
kens, ihrer Untersuchung und ihres Forschens im
Kopf herum zu tragen --

Das alles -- wenn es schon freylich nicht den
geraden Weg zu abergläubischen kirchlichen Lehrsä-
tzen führt -- führt dennoch sicher zu einer Seelen-
stimmung, die das Innere der Abgötterey und des
Aberglaubens begünstigt, und das Volk einem je-
den Religionsverführer in die Hände spielt, der im
Stand ist, dasselbe zu einem schwärmerischen Glau-
ben an seine Lehre, und zu einer fantastischen An-
hänglichkeit an seine Person zu verleiten. --

Noch einmal: ich weiß nicht, ob es wahr ist,
was man sagt, daß dem Volk wirklich planmäßige
und gefährdvolle Glaubensschlingen gelegt werden:
aber das weiß ich, daß eine Seelenstimmung be-
günstigt wird, die es, wenn ihm solche Schlingen
gelegt würden, schaarenweis darein zu springen,
sicher verleiten würde. --

Das weiß ich. -- Aber ich verarge es denen
nicht einmal, die es thun, und die wenigsten wissen
was sie thun, und taglöhnen meistens am Werk
der Frommkeit mit ehrlichem Sinn, ohne weder

V 2

Kopffuͤllung der Menſchen mit bildreichen Reli-
gionslehren, und die Hinlenkung ihres Geiſtes, ſol-
che Meynungen als Vorſchritt in wiſſenſchaftlicher
Erleuchtung — und als Gegenſtand ihres Nachden-
kens, ihrer Unterſuchung und ihres Forſchens im
Kopf herum zu tragen —

Das alles — wenn es ſchon freylich nicht den
geraden Weg zu aberglaͤubiſchen kirchlichen Lehrſaͤ-
tzen fuͤhrt — fuͤhrt dennoch ſicher zu einer Seelen-
ſtimmung, die das Innere der Abgoͤtterey und des
Aberglaubens beguͤnſtigt, und das Volk einem je-
den Religionsverfuͤhrer in die Haͤnde ſpielt, der im
Stand iſt, daſſelbe zu einem ſchwaͤrmeriſchen Glau-
ben an ſeine Lehre, und zu einer fantaſtiſchen An-
haͤnglichkeit an ſeine Perſon zu verleiten. —

Noch einmal: ich weiß nicht, ob es wahr iſt,
was man ſagt, daß dem Volk wirklich planmaͤßige
und gefaͤhrdvolle Glaubensſchlingen gelegt werden:
aber das weiß ich, daß eine Seelenſtimmung be-
guͤnſtigt wird, die es, wenn ihm ſolche Schlingen
gelegt wuͤrden, ſchaarenweis darein zu ſpringen,
ſicher verleiten wuͤrde. —

Das weiß ich. — Aber ich verarge es denen
nicht einmal, die es thun, und die wenigſten wiſſen
was ſie thun, und tagloͤhnen meiſtens am Werk
der Frommkeit mit ehrlichem Sinn, ohne weder

V 2
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[339/0357] Kopffuͤllung der Menſchen mit bildreichen Reli- gionslehren, und die Hinlenkung ihres Geiſtes, ſol- che Meynungen als Vorſchritt in wiſſenſchaftlicher Erleuchtung — und als Gegenſtand ihres Nachden- kens, ihrer Unterſuchung und ihres Forſchens im Kopf herum zu tragen — Das alles — wenn es ſchon freylich nicht den geraden Weg zu aberglaͤubiſchen kirchlichen Lehrſaͤ- tzen fuͤhrt — fuͤhrt dennoch ſicher zu einer Seelen- ſtimmung, die das Innere der Abgoͤtterey und des Aberglaubens beguͤnſtigt, und das Volk einem je- den Religionsverfuͤhrer in die Haͤnde ſpielt, der im Stand iſt, daſſelbe zu einem ſchwaͤrmeriſchen Glau- ben an ſeine Lehre, und zu einer fantaſtiſchen An- haͤnglichkeit an ſeine Perſon zu verleiten. — Noch einmal: ich weiß nicht, ob es wahr iſt, was man ſagt, daß dem Volk wirklich planmaͤßige und gefaͤhrdvolle Glaubensſchlingen gelegt werden: aber das weiß ich, daß eine Seelenſtimmung be- guͤnſtigt wird, die es, wenn ihm ſolche Schlingen gelegt wuͤrden, ſchaarenweis darein zu ſpringen, ſicher verleiten wuͤrde. — Das weiß ich. — Aber ich verarge es denen nicht einmal, die es thun, und die wenigſten wiſſen was ſie thun, und tagloͤhnen meiſtens am Werk der Frommkeit mit ehrlichem Sinn, ohne weder V 2

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/357>, abgerufen am 04.05.2024.