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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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Eichen zersplittern, und den Athem der Lebenden
auslöschen.

Auch die, sagte er, liegen an dieser Krank-
heit, deren Wahrheit den Eisgebirgen gleiche, die
zwar Himmel hoch sich gegen die Sonne aufthür-
men, aber von ihr nicht aufthauen -- ein Regen-
tropfen im Thal sey mehr werth, als ein ganzes
Meer solcher Wahrheit unter dem Eis und in un-
zugänglichen Klüften.

So viel sagte er von der Verstandspest. --

Als er damit fertig war, fragte ihn der Jun-
ker noch: Aber wer hat denn die Herzenspest? --

Meine alten Brüder und Schwestern, erwie-
derte der Mann -- sezte aber bald hinzu -- den-
noch ist es schade, daß man in der Welt nicht an-
derst mit ihnen umgeht, und das Gute nicht er
kennt, das sie an sich haben.

So lang es so ist, werden sie sich immer aus-
schliessend für das Salz der Erde achten, das seine
Näße noch nicht verloren -- und bis man ihnen,
wie der Herr Lieutenant, durch eine auffallend
bessere Menschenführung zeiget, daß es noch bessere
Salzquellen gebe, als die, so aus dem Berg ihrer
unnatürlich umzäunten Frommkeit herausfließen,
so ist es ihnen nicht zu verargen, daß sie so lang

Eichen zerſplittern, und den Athem der Lebenden
ausloͤſchen.

Auch die, ſagte er, liegen an dieſer Krank-
heit, deren Wahrheit den Eisgebirgen gleiche, die
zwar Himmel hoch ſich gegen die Sonne aufthuͤr-
men, aber von ihr nicht aufthauen — ein Regen-
tropfen im Thal ſey mehr werth, als ein ganzes
Meer ſolcher Wahrheit unter dem Eis und in un-
zugaͤnglichen Kluͤften.

So viel ſagte er von der Verſtandspeſt. —

Als er damit fertig war, fragte ihn der Jun-
ker noch: Aber wer hat denn die Herzenspeſt? —

Meine alten Bruͤder und Schweſtern, erwie-
derte der Mann — ſezte aber bald hinzu — den-
noch iſt es ſchade, daß man in der Welt nicht an-
derſt mit ihnen umgeht, und das Gute nicht er
kennt, das ſie an ſich haben.

So lang es ſo iſt, werden ſie ſich immer aus-
ſchlieſſend fuͤr das Salz der Erde achten, das ſeine
Naͤße noch nicht verloren — und bis man ihnen,
wie der Herr Lieutenant, durch eine auffallend
beſſere Menſchenfuͤhrung zeiget, daß es noch beſſere
Salzquellen gebe, als die, ſo aus dem Berg ihrer
unnatuͤrlich umzaͤunten Frommkeit herausfließen,
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[219/0237] Eichen zerſplittern, und den Athem der Lebenden ausloͤſchen. Auch die, ſagte er, liegen an dieſer Krank- heit, deren Wahrheit den Eisgebirgen gleiche, die zwar Himmel hoch ſich gegen die Sonne aufthuͤr- men, aber von ihr nicht aufthauen — ein Regen- tropfen im Thal ſey mehr werth, als ein ganzes Meer ſolcher Wahrheit unter dem Eis und in un- zugaͤnglichen Kluͤften. So viel ſagte er von der Verſtandspeſt. — Als er damit fertig war, fragte ihn der Jun- ker noch: Aber wer hat denn die Herzenspeſt? — Meine alten Bruͤder und Schweſtern, erwie- derte der Mann — ſezte aber bald hinzu — den- noch iſt es ſchade, daß man in der Welt nicht an- derſt mit ihnen umgeht, und das Gute nicht er kennt, das ſie an ſich haben. So lang es ſo iſt, werden ſie ſich immer aus- ſchlieſſend fuͤr das Salz der Erde achten, das ſeine Naͤße noch nicht verloren — und bis man ihnen, wie der Herr Lieutenant, durch eine auffallend beſſere Menſchenfuͤhrung zeiget, daß es noch beſſere Salzquellen gebe, als die, ſo aus dem Berg ihrer unnatuͤrlich umzaͤunten Frommkeit herausfließen, ſo iſt es ihnen nicht zu verargen, daß ſie ſo lang

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/237>, abgerufen am 29.03.2024.