Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Antheil an allgemeinen obrigkeitlichen Volksanstal-
ten nehmen können, wenn selbige nicht, wie der
Lindenberger gesagt habe, auch in allen äußern
Theilen nach dem Kleid des Gözenbilds zugeschnit-
ten, das sie mit sich im Kopf herumtragen.

Der Junker fragte ihn auf dieses hin, warum
so wenige Menschen von solchen Brüderschaften da-
hingebracht werden können, dieses also einzuse-
hen? --

Davon, erwiederte Christoph, ist die Haupt-
ursach sicher diese, daß man ihnen auf der andern
Seite auch Unrecht thut. --

Junker. Worinn thut man ihnen haupt-
sächlich Unrecht? --

Christoph. Man erkennt das wahre Gute,
das sie haben, nicht; man versteht sie nicht, und wirft
eine Verachtung auf sie, die sie nicht verdienen.

Junker. Er soll doch hierüber ausführlicher
sagen, was wahr sey.

Christoph. Sie seyen unter dem gemei-
nen Volk die Menschlichsten, die Liebreichsten, die
Gutmüthigsten; es sey Rath und Trost bey ihnen
zu finden, wie sonst fast bey Niemand; auch seyen
sie gegen Ruchlosigkeit und Gewaltthätigkeit, die das
andere gemeine Volk in den Dörfern so oft fast un-
ter die Thiere herabsezt, unter ihren Leuten völlig
Meister, und das sey doch ein Segen im Land, da-

O 3

Antheil an allgemeinen obrigkeitlichen Volksanſtal-
ten nehmen koͤnnen, wenn ſelbige nicht, wie der
Lindenberger geſagt habe, auch in allen aͤußern
Theilen nach dem Kleid des Goͤzenbilds zugeſchnit-
ten, das ſie mit ſich im Kopf herumtragen.

Der Junker fragte ihn auf dieſes hin, warum
ſo wenige Menſchen von ſolchen Bruͤderſchaften da-
hingebracht werden koͤnnen, dieſes alſo einzuſe-
hen? —

Davon, erwiederte Chriſtoph, iſt die Haupt-
urſach ſicher dieſe, daß man ihnen auf der andern
Seite auch Unrecht thut. —

Junker. Worinn thut man ihnen haupt-
ſaͤchlich Unrecht? —

Chriſtoph. Man erkennt das wahre Gute,
das ſie haben, nicht; man verſteht ſie nicht, und wirft
eine Verachtung auf ſie, die ſie nicht verdienen.

Junker. Er ſoll doch hieruͤber ausfuͤhrlicher
ſagen, was wahr ſey.

Chriſtoph. Sie ſeyen unter dem gemei-
nen Volk die Menſchlichſten, die Liebreichſten, die
Gutmuͤthigſten; es ſey Rath und Troſt bey ihnen
zu finden, wie ſonſt faſt bey Niemand; auch ſeyen
ſie gegen Ruchloſigkeit und Gewaltthaͤtigkeit, die das
andere gemeine Volk in den Doͤrfern ſo oft faſt un-
ter die Thiere herabſezt, unter ihren Leuten voͤllig
Meiſter, und das ſey doch ein Segen im Land, da-

O 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0231" n="213"/>
Antheil an allgemeinen obrigkeitlichen Volksan&#x017F;tal-<lb/>
ten nehmen ko&#x0364;nnen, wenn &#x017F;elbige nicht, wie der<lb/>
Lindenberger ge&#x017F;agt habe, auch in allen a&#x0364;ußern<lb/>
Theilen nach dem Kleid des Go&#x0364;zenbilds zuge&#x017F;chnit-<lb/>
ten, das &#x017F;ie mit &#x017F;ich im Kopf herumtragen.</p><lb/>
        <p>Der Junker fragte ihn auf die&#x017F;es hin, warum<lb/>
&#x017F;o wenige Men&#x017F;chen von &#x017F;olchen Bru&#x0364;der&#x017F;chaften da-<lb/>
hingebracht werden ko&#x0364;nnen, die&#x017F;es al&#x017F;o einzu&#x017F;e-<lb/>
hen? &#x2014;</p><lb/>
        <p>Davon, erwiederte Chri&#x017F;toph, i&#x017F;t die Haupt-<lb/>
ur&#x017F;ach &#x017F;icher die&#x017F;e, daß man ihnen auf der andern<lb/>
Seite auch Unrecht thut. &#x2014;</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Junker</hi>. Worinn thut man ihnen haupt-<lb/>
&#x017F;a&#x0364;chlich Unrecht? &#x2014;</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Chri&#x017F;toph</hi>. Man erkennt das wahre Gute,<lb/>
das &#x017F;ie haben, nicht; man ver&#x017F;teht &#x017F;ie nicht, und wirft<lb/>
eine Verachtung auf &#x017F;ie, die &#x017F;ie nicht verdienen.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Junker</hi>. Er &#x017F;oll doch hieru&#x0364;ber ausfu&#x0364;hrlicher<lb/>
&#x017F;agen, was wahr &#x017F;ey.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Chri&#x017F;toph</hi>. Sie &#x017F;eyen unter dem gemei-<lb/>
nen Volk die Men&#x017F;chlich&#x017F;ten, die Liebreich&#x017F;ten, die<lb/>
Gutmu&#x0364;thig&#x017F;ten; es &#x017F;ey Rath und Tro&#x017F;t bey ihnen<lb/>
zu finden, wie &#x017F;on&#x017F;t fa&#x017F;t bey Niemand; auch &#x017F;eyen<lb/>
&#x017F;ie gegen Ruchlo&#x017F;igkeit und Gewalttha&#x0364;tigkeit, die das<lb/>
andere gemeine Volk in den Do&#x0364;rfern &#x017F;o oft fa&#x017F;t un-<lb/>
ter die Thiere herab&#x017F;ezt, unter ihren Leuten vo&#x0364;llig<lb/>
Mei&#x017F;ter, und das &#x017F;ey doch ein Segen im Land, da-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O 3</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0231] Antheil an allgemeinen obrigkeitlichen Volksanſtal- ten nehmen koͤnnen, wenn ſelbige nicht, wie der Lindenberger geſagt habe, auch in allen aͤußern Theilen nach dem Kleid des Goͤzenbilds zugeſchnit- ten, das ſie mit ſich im Kopf herumtragen. Der Junker fragte ihn auf dieſes hin, warum ſo wenige Menſchen von ſolchen Bruͤderſchaften da- hingebracht werden koͤnnen, dieſes alſo einzuſe- hen? — Davon, erwiederte Chriſtoph, iſt die Haupt- urſach ſicher dieſe, daß man ihnen auf der andern Seite auch Unrecht thut. — Junker. Worinn thut man ihnen haupt- ſaͤchlich Unrecht? — Chriſtoph. Man erkennt das wahre Gute, das ſie haben, nicht; man verſteht ſie nicht, und wirft eine Verachtung auf ſie, die ſie nicht verdienen. Junker. Er ſoll doch hieruͤber ausfuͤhrlicher ſagen, was wahr ſey. Chriſtoph. Sie ſeyen unter dem gemei- nen Volk die Menſchlichſten, die Liebreichſten, die Gutmuͤthigſten; es ſey Rath und Troſt bey ihnen zu finden, wie ſonſt faſt bey Niemand; auch ſeyen ſie gegen Ruchloſigkeit und Gewaltthaͤtigkeit, die das andere gemeine Volk in den Doͤrfern ſo oft faſt un- ter die Thiere herabſezt, unter ihren Leuten voͤllig Meiſter, und das ſey doch ein Segen im Land, da- O 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/231
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/231>, abgerufen am 25.11.2024.