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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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seine Geschwisterte bey ihm stunden, sah es sie nicht.
-- Wo es war, verfolgte dasselbe der erschreckli-
che Gedanke, es sey nicht Gottes Wille, daß ein
guter Vater auf der Welt sey, wenn einer da sey,
so müsse er sterben, und es dünkte ihns, die Men-
schen müssen nicht werth seyn einen zu haben, sonst
wär' es anderst. --

Und der Pfarrer führte am Sonntag auf der
Kanzel, weiß Gott, fast die gleiche Sprache.

Es sey, sagte er, wie wenn es nicht seyn
müsse, daß Menschen durch ihre Mitmenschen ver-
sorget werden. -- Die ganze Natur und die ganze
Geschichte rufe dem Menschengeschlecht zu, es soll
ein jeder sich selber versorgen, es versorge ihn Nie-
mand, und könne ihn Niemand versorgen; und
das Beste, das man an dem Menschen thun könne,
sey, daß man ihn lehre, es selber zu thun.

Auch hat Arner nichts anders gesucht als die-
ses, sagte er mit einer Stimme, die an allen Wän-
den klang, und sezte mit dumpfem leisem Ton hin-
zu, aber was wird izt daraus werden?

Nach einer Weile sagte er wieder, es liege in
Gottes Namen in der Natur, daß der Mensch auf
Niemanden auf Erden zähle; selbst Aeltern, die
für den Säugling in Feuer und Wasser springen,
den lezten Bissen im hungrigen Mund käuen, und

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ſeine Geſchwiſterte bey ihm ſtunden, ſah es ſie nicht.
— Wo es war, verfolgte daſſelbe der erſchreckli-
che Gedanke, es ſey nicht Gottes Wille, daß ein
guter Vater auf der Welt ſey, wenn einer da ſey,
ſo muͤſſe er ſterben, und es duͤnkte ihns, die Men-
ſchen muͤſſen nicht werth ſeyn einen zu haben, ſonſt
waͤr' es anderſt. —

Und der Pfarrer fuͤhrte am Sonntag auf der
Kanzel, weiß Gott, faſt die gleiche Sprache.

Es ſey, ſagte er, wie wenn es nicht ſeyn
muͤſſe, daß Menſchen durch ihre Mitmenſchen ver-
ſorget werden. — Die ganze Natur und die ganze
Geſchichte rufe dem Menſchengeſchlecht zu, es ſoll
ein jeder ſich ſelber verſorgen, es verſorge ihn Nie-
mand, und koͤnne ihn Niemand verſorgen; und
das Beſte, das man an dem Menſchen thun koͤnne,
ſey, daß man ihn lehre, es ſelber zu thun.

Auch hat Arner nichts anders geſucht als die-
ſes, ſagte er mit einer Stimme, die an allen Waͤn-
den klang, und ſezte mit dumpfem leiſem Ton hin-
zu, aber was wird izt daraus werden?

Nach einer Weile ſagte er wieder, es liege in
Gottes Namen in der Natur, daß der Menſch auf
Niemanden auf Erden zaͤhle; ſelbſt Aeltern, die
fuͤr den Saͤugling in Feuer und Waſſer ſpringen,
den lezten Biſſen im hungrigen Mund kaͤuen, und

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[131/0149] ſeine Geſchwiſterte bey ihm ſtunden, ſah es ſie nicht. — Wo es war, verfolgte daſſelbe der erſchreckli- che Gedanke, es ſey nicht Gottes Wille, daß ein guter Vater auf der Welt ſey, wenn einer da ſey, ſo muͤſſe er ſterben, und es duͤnkte ihns, die Men- ſchen muͤſſen nicht werth ſeyn einen zu haben, ſonſt waͤr' es anderſt. — Und der Pfarrer fuͤhrte am Sonntag auf der Kanzel, weiß Gott, faſt die gleiche Sprache. Es ſey, ſagte er, wie wenn es nicht ſeyn muͤſſe, daß Menſchen durch ihre Mitmenſchen ver- ſorget werden. — Die ganze Natur und die ganze Geſchichte rufe dem Menſchengeſchlecht zu, es ſoll ein jeder ſich ſelber verſorgen, es verſorge ihn Nie- mand, und koͤnne ihn Niemand verſorgen; und das Beſte, das man an dem Menſchen thun koͤnne, ſey, daß man ihn lehre, es ſelber zu thun. Auch hat Arner nichts anders geſucht als die- ſes, ſagte er mit einer Stimme, die an allen Waͤn- den klang, und ſezte mit dumpfem leiſem Ton hin- zu, aber was wird izt daraus werden? Nach einer Weile ſagte er wieder, es liege in Gottes Namen in der Natur, daß der Menſch auf Niemanden auf Erden zaͤhle; ſelbſt Aeltern, die fuͤr den Saͤugling in Feuer und Waſſer ſpringen, den lezten Biſſen im hungrigen Mund kaͤuen, und J 2

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/149>, abgerufen am 19.04.2024.