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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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ber vor ihren Augen, und seine Kinder, und seine
Stube, bis auf die Helgen (Kupferstiche) die an
der Wand hangen -- sie staunt wieder -- Thränen
fallen auf Thränen -- sie verriegelt die Thüre --
sizt nieder zum Tisch -- sie nimmt ihn -- sie nimmt
das Gebethbuch von der Wand, und bethet laut
das Gebeth einer Tochter, die in den Ehstand tre-
ten will; legt dann ihren Kopf über ihre Hände,
und über das Buch, netzet beyde mit Thränen,
und bethet noch selber, daß Gott ihren Entschluß
segne und heilige; stehet dann wieder auf, trocknet
ihre Augen, fühlt sich mit sich selber zufrieden, und
sagt, ich will in Gottes Namen izt zur Gertrud,
kleidet sich langsam an, trocknet noch manchmal
ihre Augen -- und geht. --



§. 28.
Ein Mißverstand.

Gertrud dachte an nichts weniger, als daß sie eine
gute Botschaft hätte; sie war vielmehr unzufrie-
den, daß sie den guten Rudi so lange aufziehe;
und da sie sie langsam und staunend die Gasse hin-
auf kommen sah, dachte sie wirklich mit einer Art
von Unwille, was hat sie izt wohl im Kopfe? und
gieng nicht einmal ihr für die Thür entgegen.

ber vor ihren Augen, und ſeine Kinder, und ſeine
Stube, bis auf die Helgen (Kupferſtiche) die an
der Wand hangen — ſie ſtaunt wieder — Thraͤnen
fallen auf Thraͤnen — ſie verriegelt die Thuͤre —
ſizt nieder zum Tiſch — ſie nimmt ihn — ſie nimmt
das Gebethbuch von der Wand, und bethet laut
das Gebeth einer Tochter, die in den Ehſtand tre-
ten will; legt dann ihren Kopf uͤber ihre Haͤnde,
und uͤber das Buch, netzet beyde mit Thraͤnen,
und bethet noch ſelber, daß Gott ihren Entſchluß
ſegne und heilige; ſtehet dann wieder auf, trocknet
ihre Augen, fuͤhlt ſich mit ſich ſelber zufrieden, und
ſagt, ich will in Gottes Namen izt zur Gertrud,
kleidet ſich langſam an, trocknet noch manchmal
ihre Augen — und geht. —



§. 28.
Ein Mißverſtand.

Gertrud dachte an nichts weniger, als daß ſie eine
gute Botſchaft haͤtte; ſie war vielmehr unzufrie-
den, daß ſie den guten Rudi ſo lange aufziehe;
und da ſie ſie langſam und ſtaunend die Gaſſe hin-
auf kommen ſah, dachte ſie wirklich mit einer Art
von Unwille, was hat ſie izt wohl im Kopfe? und
gieng nicht einmal ihr fuͤr die Thuͤr entgegen.

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[114/0132] ber vor ihren Augen, und ſeine Kinder, und ſeine Stube, bis auf die Helgen (Kupferſtiche) die an der Wand hangen — ſie ſtaunt wieder — Thraͤnen fallen auf Thraͤnen — ſie verriegelt die Thuͤre — ſizt nieder zum Tiſch — ſie nimmt ihn — ſie nimmt das Gebethbuch von der Wand, und bethet laut das Gebeth einer Tochter, die in den Ehſtand tre- ten will; legt dann ihren Kopf uͤber ihre Haͤnde, und uͤber das Buch, netzet beyde mit Thraͤnen, und bethet noch ſelber, daß Gott ihren Entſchluß ſegne und heilige; ſtehet dann wieder auf, trocknet ihre Augen, fuͤhlt ſich mit ſich ſelber zufrieden, und ſagt, ich will in Gottes Namen izt zur Gertrud, kleidet ſich langſam an, trocknet noch manchmal ihre Augen — und geht. — §. 28. Ein Mißverſtand. Gertrud dachte an nichts weniger, als daß ſie eine gute Botſchaft haͤtte; ſie war vielmehr unzufrie- den, daß ſie den guten Rudi ſo lange aufziehe; und da ſie ſie langſam und ſtaunend die Gaſſe hin- auf kommen ſah, dachte ſie wirklich mit einer Art von Unwille, was hat ſie izt wohl im Kopfe? und gieng nicht einmal ihr fuͤr die Thuͤr entgegen.

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/132>, abgerufen am 28.03.2024.