zählen; wie die Geissenmilch seiner Frauen selig noch so wohl gethan, wie sie die lezten fünf Wo- chen gar nichts mehr genossen als alle Tage et- liche Löffel voll davon, und denn wie sie Gottlob noch zu sich selber gekommen, und auch wieder Antheil an allem genommen was begegnet, in- sonderheit auch an dem neuen Wesen in der Schul, dem sie alle Tage bey den Kindern nach- gefragt. -- Aber dann habe sie auch einmal mit einem tiefen Seufzer gesagt: mein Gott! wenn ich in der Schul auch so Spiztruken und Spinnräder hätte in den Händen haben müssen, so wäre ich gewiß nicht so worden.
Sie habe da, sagt er, hinzugesezt: es ist in Gottes Namen das! -- Und zu den Kindern: -- Gottlob! daß es euch jezt anderst geht. --
Das gieng dem Junker und dem Pfarrer zu Herzen, daß sie die Thränen fast nicht zurükhal- ten konnten.
Da sie in die Stube kamen, hatten sie das Susannelj zwischen dem Vater und allen Kin- dern vollends wie eine Mutter da stehend ange- troffen.
Es entrann aus seinem Stadtdienst, und kam noch eine Stunde, ehe sie verschied, zu ihrem Sterben, warf sich wie von Sinnen auf ihr Bett, und bat in unverständlichem Schluchzen um Verzeihung und um ihren Segen.
Die Mutter konnte nicht mehr reden; -- aber noch öffnete sie ihre Augen, deutete auf das
zaͤhlen; wie die Geiſſenmilch ſeiner Frauen ſelig noch ſo wohl gethan, wie ſie die lezten fuͤnf Wo- chen gar nichts mehr genoſſen als alle Tage et- liche Loͤffel voll davon, und denn wie ſie Gottlob noch zu ſich ſelber gekommen, und auch wieder Antheil an allem genommen was begegnet, in- ſonderheit auch an dem neuen Weſen in der Schul, dem ſie alle Tage bey den Kindern nach- gefragt. — Aber dann habe ſie auch einmal mit einem tiefen Seufzer geſagt: mein Gott! wenn ich in der Schul auch ſo Spiztruken und Spinnraͤder haͤtte in den Haͤnden haben muͤſſen, ſo waͤre ich gewiß nicht ſo worden.
Sie habe da, ſagt er, hinzugeſezt: es iſt in Gottes Namen das! — Und zu den Kindern: — Gottlob! daß es euch jezt anderſt geht. —
Das gieng dem Junker und dem Pfarrer zu Herzen, daß ſie die Thraͤnen faſt nicht zuruͤkhal- ten konnten.
Da ſie in die Stube kamen, hatten ſie das Suſannelj zwiſchen dem Vater und allen Kin- dern vollends wie eine Mutter da ſtehend ange- troffen.
Es entrann aus ſeinem Stadtdienſt, und kam noch eine Stunde, ehe ſie verſchied, zu ihrem Sterben, warf ſich wie von Sinnen auf ihr Bett, und bat in unverſtaͤndlichem Schluchzen um Verzeihung und um ihren Segen.
Die Mutter konnte nicht mehr reden; — aber noch oͤffnete ſie ihre Augen, deutete auf das
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zaͤhlen; wie die Geiſſenmilch ſeiner Frauen ſelig
noch ſo wohl gethan, wie ſie die lezten fuͤnf Wo-
chen gar nichts mehr genoſſen als alle Tage et-
liche Loͤffel voll davon, und denn wie ſie Gottlob
noch zu ſich ſelber gekommen, und auch wieder
Antheil an allem genommen was begegnet, in-
ſonderheit auch an dem neuen Weſen in der
Schul, dem ſie alle Tage bey den Kindern nach-
gefragt. — Aber dann habe ſie auch einmal
mit einem tiefen Seufzer geſagt: mein Gott!
wenn ich in der Schul auch ſo Spiztruken und
Spinnraͤder haͤtte in den Haͤnden haben muͤſſen,
ſo waͤre ich gewiß nicht ſo worden.
Sie habe da, ſagt er, hinzugeſezt: es iſt in
Gottes Namen das! — Und zu den Kindern:
— Gottlob! daß es euch jezt anderſt geht. —
Das gieng dem Junker und dem Pfarrer zu
Herzen, daß ſie die Thraͤnen faſt nicht zuruͤkhal-
ten konnten.
Da ſie in die Stube kamen, hatten ſie das
Suſannelj zwiſchen dem Vater und allen Kin-
dern vollends wie eine Mutter da ſtehend ange-
troffen.
Es entrann aus ſeinem Stadtdienſt, und kam
noch eine Stunde, ehe ſie verſchied, zu ihrem
Sterben, warf ſich wie von Sinnen auf ihr
Bett, und bat in unverſtaͤndlichem Schluchzen
um Verzeihung und um ihren Segen.
Die Mutter konnte nicht mehr reden; —
aber noch oͤffnete ſie ihre Augen, deutete auf das
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/434>, abgerufen am 23.11.2024.
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