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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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gefasset hätte, wenn sie sich gemäßiget hätte,
nicht Plaz gabe. Das rettete den guten Rudj.

Sie stampfte in der ersten Minute, in der
dritten hatte sie Thränen in den Augen.

So lang sie stampfte, ließ sie Gertrud fort-
reden; da ihr aber Thränen in die Augen ka-
men, nahm sie sie bey der Hand, und sagte: du
dauerst mich, aber du bist betrogen!

Wer wollte doch auch Satans genug seyn,
den graden Weg so etwas zu ersinnen? sagte
da die Meyerin.

Ich will nicht sagen, wer? erwiederte Ger-
trud, und sah die Meyerin bey diesem Wort steif
an; -- aber Jemand, fuhr sie fort, hats ge-
than und erfunden, das ist gewiß, und du kannst
es draus abnehmen, daß man von allem diesem
über den Rudj kein Wort erzählt, so lang er
ein armer Mann war, und von dir nichts
wußte, und es aber jezt herum trommelt, da
man hört, daß er dich bekommen sollte.

Bey diesem Wort kam der Meyerin wie ein
Bliz in Sinn, die Untervögtin könnte dahin-
ter steken.

Gertrud sahe ihr den Gedanken in den Au-
gen, und hatte genug. Sie fuhr ruhig fort,
und sagte: an deinem Plaz würd' ich jezt die
ganze Historie mit kaltem Blut ansehen, und
auf der einen Seite mit Ernst nachforschen,
ob das geringste daran wahr sey; auf der an-

gefaſſet haͤtte, wenn ſie ſich gemaͤßiget haͤtte,
nicht Plaz gabe. Das rettete den guten Rudj.

Sie ſtampfte in der erſten Minute, in der
dritten hatte ſie Thraͤnen in den Augen.

So lang ſie ſtampfte, ließ ſie Gertrud fort-
reden; da ihr aber Thraͤnen in die Augen ka-
men, nahm ſie ſie bey der Hand, und ſagte: du
dauerſt mich, aber du biſt betrogen!

Wer wollte doch auch Satans genug ſeyn,
den graden Weg ſo etwas zu erſinnen? ſagte
da die Meyerin.

Ich will nicht ſagen, wer? erwiederte Ger-
trud, und ſah die Meyerin bey dieſem Wort ſteif
an; — aber Jemand, fuhr ſie fort, hats ge-
than und erfunden, das iſt gewiß, und du kannſt
es draus abnehmen, daß man von allem dieſem
uͤber den Rudj kein Wort erzaͤhlt, ſo lang er
ein armer Mann war, und von dir nichts
wußte, und es aber jezt herum trommelt, da
man hoͤrt, daß er dich bekommen ſollte.

Bey dieſem Wort kam der Meyerin wie ein
Bliz in Sinn, die Untervoͤgtin koͤnnte dahin-
ter ſteken.

Gertrud ſahe ihr den Gedanken in den Au-
gen, und hatte genug. Sie fuhr ruhig fort,
und ſagte: an deinem Plaz wuͤrd’ ich jezt die
ganze Hiſtorie mit kaltem Blut anſehen, und
auf der einen Seite mit Ernſt nachforſchen,
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[358/0380] gefaſſet haͤtte, wenn ſie ſich gemaͤßiget haͤtte, nicht Plaz gabe. Das rettete den guten Rudj. Sie ſtampfte in der erſten Minute, in der dritten hatte ſie Thraͤnen in den Augen. So lang ſie ſtampfte, ließ ſie Gertrud fort- reden; da ihr aber Thraͤnen in die Augen ka- men, nahm ſie ſie bey der Hand, und ſagte: du dauerſt mich, aber du biſt betrogen! Wer wollte doch auch Satans genug ſeyn, den graden Weg ſo etwas zu erſinnen? ſagte da die Meyerin. Ich will nicht ſagen, wer? erwiederte Ger- trud, und ſah die Meyerin bey dieſem Wort ſteif an; — aber Jemand, fuhr ſie fort, hats ge- than und erfunden, das iſt gewiß, und du kannſt es draus abnehmen, daß man von allem dieſem uͤber den Rudj kein Wort erzaͤhlt, ſo lang er ein armer Mann war, und von dir nichts wußte, und es aber jezt herum trommelt, da man hoͤrt, daß er dich bekommen ſollte. Bey dieſem Wort kam der Meyerin wie ein Bliz in Sinn, die Untervoͤgtin koͤnnte dahin- ter ſteken. Gertrud ſahe ihr den Gedanken in den Au- gen, und hatte genug. Sie fuhr ruhig fort, und ſagte: an deinem Plaz wuͤrd’ ich jezt die ganze Hiſtorie mit kaltem Blut anſehen, und auf der einen Seite mit Ernſt nachforſchen, ob das geringſte daran wahr ſey; auf der an-

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/380>, abgerufen am 11.05.2024.