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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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gar nichts wußten, und beym stehen, sizen,
schreiben und arbeiten, mußten sie sich ihm im-
mer so grad halten als eine Kerze.

Und wenn sie in die Schul kamen und draus
giengen, mußte eines nach dem andern vor
ihm zustehen, und ihm b'hüt Gott sagen. Er
sah sie denn vom Kopf bis zu den Füssen an,
und konnte Augen machen, daß ein jedes,
wenn er auch kein Wort redte, es ihm gleich
ansah, wenn es etwas an sich hatte, das nicht
in der Ordnung war.

Wenns aber denn auf das hin, daß er es
ihm mit den Augen zeigte, nicht besserte, so
sagte er es hernach mit dem Maul.

Wo er sah, daß die Eltern daran schuldig,
ließ er es ihnen sagen, und es war gar nichts
seltenes, daß ein Kind mit dem Bericht zu sei-
ner Mutter heimkam: -- du, der Schulmei-
ster hat gesagt, er laß dich grüssen; -- und
ob du keine Nadlen, oder Faden habest? --
oder ob das Wasser theuer sey bey dir? und der-
gleichen.

Und die Margreth war wie dazu gemacht,
ihm in diesen Sachen an die Hand zu gehen.

Wenn ein Kind seine Haare nicht recht ge-
flochten hatte, sezte sie ihns mit dem Spinn-
rad vor sich zu, und flochte ihm dasselbe wäh-
rend dem es lehrnte und arbeitete. Die meisten
konnten nicht einmal ihre Schuhe recht ring-

gar nichts wußten, und beym ſtehen, ſizen,
ſchreiben und arbeiten, mußten ſie ſich ihm im-
mer ſo grad halten als eine Kerze.

Und wenn ſie in die Schul kamen und draus
giengen, mußte eines nach dem andern vor
ihm zuſtehen, und ihm b’huͤt Gott ſagen. Er
ſah ſie denn vom Kopf bis zu den Fuͤſſen an,
und konnte Augen machen, daß ein jedes,
wenn er auch kein Wort redte, es ihm gleich
anſah, wenn es etwas an ſich hatte, das nicht
in der Ordnung war.

Wenns aber denn auf das hin, daß er es
ihm mit den Augen zeigte, nicht beſſerte, ſo
ſagte er es hernach mit dem Maul.

Wo er ſah, daß die Eltern daran ſchuldig,
ließ er es ihnen ſagen, und es war gar nichts
ſeltenes, daß ein Kind mit dem Bericht zu ſei-
ner Mutter heimkam: — du, der Schulmei-
ſter hat geſagt, er laß dich gruͤſſen; — und
ob du keine Nadlen, oder Faden habeſt? —
oder ob das Waſſer theuer ſey bey dir? und der-
gleichen.

Und die Margreth war wie dazu gemacht,
ihm in dieſen Sachen an die Hand zu gehen.

Wenn ein Kind ſeine Haare nicht recht ge-
flochten hatte, ſezte ſie ihns mit dem Spinn-
rad vor ſich zu, und flochte ihm daſſelbe waͤh-
rend dem es lehrnte und arbeitete. Die meiſten
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[294/0316] gar nichts wußten, und beym ſtehen, ſizen, ſchreiben und arbeiten, mußten ſie ſich ihm im- mer ſo grad halten als eine Kerze. Und wenn ſie in die Schul kamen und draus giengen, mußte eines nach dem andern vor ihm zuſtehen, und ihm b’huͤt Gott ſagen. Er ſah ſie denn vom Kopf bis zu den Fuͤſſen an, und konnte Augen machen, daß ein jedes, wenn er auch kein Wort redte, es ihm gleich anſah, wenn es etwas an ſich hatte, das nicht in der Ordnung war. Wenns aber denn auf das hin, daß er es ihm mit den Augen zeigte, nicht beſſerte, ſo ſagte er es hernach mit dem Maul. Wo er ſah, daß die Eltern daran ſchuldig, ließ er es ihnen ſagen, und es war gar nichts ſeltenes, daß ein Kind mit dem Bericht zu ſei- ner Mutter heimkam: — du, der Schulmei- ſter hat geſagt, er laß dich gruͤſſen; — und ob du keine Nadlen, oder Faden habeſt? — oder ob das Waſſer theuer ſey bey dir? und der- gleichen. Und die Margreth war wie dazu gemacht, ihm in dieſen Sachen an die Hand zu gehen. Wenn ein Kind ſeine Haare nicht recht ge- flochten hatte, ſezte ſie ihns mit dem Spinn- rad vor ſich zu, und flochte ihm daſſelbe waͤh- rend dem es lehrnte und arbeitete. Die meiſten konnten nicht einmal ihre Schuhe recht ring-

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/316>, abgerufen am 23.11.2024.