steht eine grosse Sonnenblume. Es staunt oft, wenn sie blühet, ihr hohes sich neigendes Haupt an; und an den vier Eken sind die Paßions- blumen, und das gute Kind kann sich bey die- sen Paßionsblumen in Gedanken über das Schiksal seines Vaters verlieren, wie ein Schrift- forscher in heiligen Büchern über das Schik- sal des Himmels und der Erde.
Rings um das Grab sind dike Heken wie- der das Wild, es legte sie mit seiner Hand an, und flochte die Dornen selber in einander, und den einzigen Fußsieg für Menschen hat es eine lange Streke mit Dornen und wildem Ge- sträuch überlegt.
Allemal wenn es um Mitternacht kommt thut es die ganze Streke, Dorn und Gesträuch wieder weg, und wenn es heimgehet, legt es sie wieder sorgfältig zu; auch hat noch kein Fußtritt als der seine das Grab betretten. Wenn es denn am Morgen heimkommt bringt es dürre Reiser und Kienholz, wie wenn es darum am Morgen früh in den Wald gegan- gen wäre; aber unter den Reisern hat es den ganzen Sommer durch Blumen, seine blaue Veilchen, seine grünen Tulpen, und seine blas- sen Rosen.
Und es wartet dieser Blumen ab des Va- ters Grab mit frischem Wasser am Schatten, neben seinem Kasten, und wenn sie denn wel-
ſteht eine groſſe Sonnenblume. Es ſtaunt oft, wenn ſie bluͤhet, ihr hohes ſich neigendes Haupt an; und an den vier Eken ſind die Paßions- blumen, und das gute Kind kann ſich bey die- ſen Paßionsblumen in Gedanken uͤber das Schikſal ſeines Vaters verlieren, wie ein Schrift- forſcher in heiligen Buͤchern uͤber das Schik- ſal des Himmels und der Erde.
Rings um das Grab ſind dike Heken wie- der das Wild, es legte ſie mit ſeiner Hand an, und flochte die Dornen ſelber in einander, und den einzigen Fußſieg fuͤr Menſchen hat es eine lange Streke mit Dornen und wildem Ge- ſtraͤuch uͤberlegt.
Allemal wenn es um Mitternacht kommt thut es die ganze Streke, Dorn und Geſtraͤuch wieder weg, und wenn es heimgehet, legt es ſie wieder ſorgfaͤltig zu; auch hat noch kein Fußtritt als der ſeine das Grab betretten. Wenn es denn am Morgen heimkommt bringt es duͤrre Reiſer und Kienholz, wie wenn es darum am Morgen fruͤh in den Wald gegan- gen waͤre; aber unter den Reiſern hat es den ganzen Sommer durch Blumen, ſeine blaue Veilchen, ſeine gruͤnen Tulpen, und ſeine blaſ- ſen Roſen.
Und es wartet dieſer Blumen ab des Va- ters Grab mit friſchem Waſſer am Schatten, neben ſeinem Kaſten, und wenn ſie denn wel-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0232"n="210"/>ſteht eine groſſe Sonnenblume. Es ſtaunt oft,<lb/>
wenn ſie bluͤhet, ihr hohes ſich neigendes Haupt<lb/>
an; und an den vier Eken ſind die Paßions-<lb/>
blumen, und das gute Kind kann ſich bey die-<lb/>ſen Paßionsblumen in Gedanken uͤber das<lb/>
Schikſal ſeines Vaters verlieren, wie ein Schrift-<lb/>
forſcher in heiligen Buͤchern uͤber das Schik-<lb/>ſal des Himmels und der Erde.</p><lb/><p>Rings um das Grab ſind dike Heken wie-<lb/>
der das Wild, es legte ſie mit ſeiner Hand an,<lb/>
und flochte die Dornen ſelber in einander, und<lb/>
den einzigen Fußſieg fuͤr Menſchen hat es eine<lb/>
lange Streke mit Dornen und wildem Ge-<lb/>ſtraͤuch uͤberlegt.</p><lb/><p>Allemal wenn es um Mitternacht kommt<lb/>
thut es die ganze Streke, Dorn und Geſtraͤuch<lb/>
wieder weg, und wenn es heimgehet, legt<lb/>
es ſie wieder ſorgfaͤltig zu; auch hat noch kein<lb/>
Fußtritt als der ſeine das Grab betretten.<lb/>
Wenn es denn am Morgen heimkommt bringt<lb/>
es duͤrre Reiſer und Kienholz, wie wenn es<lb/>
darum am Morgen fruͤh in den Wald gegan-<lb/>
gen waͤre; aber unter den Reiſern hat es den<lb/>
ganzen Sommer durch Blumen, ſeine blaue<lb/>
Veilchen, ſeine gruͤnen Tulpen, und ſeine blaſ-<lb/>ſen Roſen.</p><lb/><p>Und es wartet dieſer Blumen ab des Va-<lb/>
ters Grab mit friſchem Waſſer am Schatten,<lb/>
neben ſeinem Kaſten, und wenn ſie denn wel-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[210/0232]
ſteht eine groſſe Sonnenblume. Es ſtaunt oft,
wenn ſie bluͤhet, ihr hohes ſich neigendes Haupt
an; und an den vier Eken ſind die Paßions-
blumen, und das gute Kind kann ſich bey die-
ſen Paßionsblumen in Gedanken uͤber das
Schikſal ſeines Vaters verlieren, wie ein Schrift-
forſcher in heiligen Buͤchern uͤber das Schik-
ſal des Himmels und der Erde.
Rings um das Grab ſind dike Heken wie-
der das Wild, es legte ſie mit ſeiner Hand an,
und flochte die Dornen ſelber in einander, und
den einzigen Fußſieg fuͤr Menſchen hat es eine
lange Streke mit Dornen und wildem Ge-
ſtraͤuch uͤberlegt.
Allemal wenn es um Mitternacht kommt
thut es die ganze Streke, Dorn und Geſtraͤuch
wieder weg, und wenn es heimgehet, legt
es ſie wieder ſorgfaͤltig zu; auch hat noch kein
Fußtritt als der ſeine das Grab betretten.
Wenn es denn am Morgen heimkommt bringt
es duͤrre Reiſer und Kienholz, wie wenn es
darum am Morgen fruͤh in den Wald gegan-
gen waͤre; aber unter den Reiſern hat es den
ganzen Sommer durch Blumen, ſeine blaue
Veilchen, ſeine gruͤnen Tulpen, und ſeine blaſ-
ſen Roſen.
Und es wartet dieſer Blumen ab des Va-
ters Grab mit friſchem Waſſer am Schatten,
neben ſeinem Kaſten, und wenn ſie denn wel-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/232>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.