Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

es nimmt mich Wunder, wie du Zeit gehabt
habest so weit zu kommen? Sie wollte anfan-
gen, ich habe da vom Herr Pfarrer selig etli-
che Bücher. -- Aber -- er unterbrach sie,
und sagte, ich halte gar nicht viel auf vielen
Büchern in Baurenhäusern. Die Bibel und
ein Herz das in Einfalt nur nicht daran sinnt
etwas zu erklären, was es nicht geradezu ver-
steht, das suche ich in Baurenhäusern, und
dann Karst und Hauen, die alles unnöthig er-
klären, aus dem Kopf hinaustreiben: und so
einer jungen Frauen soll das Wäschbeken, die
Nadel und der Strehl (Kamm) hundertmal
lieber in Händen seyn als alle Bücher. --

Die arme Frau meynte fast, der Pfarrer
lästre und rede wider Gott, da er wider ihre
Thorheit redte, auch trug sie ihm diese Rede
fast bis an ihr Todbeth nach; -- doch kam sie
in ihrer lezten Krankheit noch dahin, zu er-
kennen, daß sie in ihrer Pilgrimschaft auf der
Irre herumgelaufen, und daß der gute Pfar-
rer sie auf den rechten Weg weisen wollen.
Sie kam so weit zurük, daß sie jezt keine
grössere Freude und keinen grössern Trost hatte,
als wenn dieser Mann, den sie während ihrer
Verirrung für so schlimm achtete, bey und ne-
ben ihr war.

Er war gern um sie, und es war ihm wich-
tig um sie zu seyn. Er war auch heute bey

J

es nimmt mich Wunder, wie du Zeit gehabt
habeſt ſo weit zu kommen? Sie wollte anfan-
gen, ich habe da vom Herr Pfarrer ſelig etli-
che Buͤcher. — Aber — er unterbrach ſie,
und ſagte, ich halte gar nicht viel auf vielen
Buͤchern in Baurenhaͤuſern. Die Bibel und
ein Herz das in Einfalt nur nicht daran ſinnt
etwas zu erklaͤren, was es nicht geradezu ver-
ſteht, das ſuche ich in Baurenhaͤuſern, und
dann Karſt und Hauen, die alles unnoͤthig er-
klaͤren, aus dem Kopf hinaustreiben: und ſo
einer jungen Frauen ſoll das Waͤſchbeken, die
Nadel und der Strehl (Kamm) hundertmal
lieber in Haͤnden ſeyn als alle Buͤcher. —

Die arme Frau meynte faſt, der Pfarrer
laͤſtre und rede wider Gott, da er wider ihre
Thorheit redte, auch trug ſie ihm dieſe Rede
faſt bis an ihr Todbeth nach; — doch kam ſie
in ihrer lezten Krankheit noch dahin, zu er-
kennen, daß ſie in ihrer Pilgrimſchaft auf der
Irre herumgelaufen, und daß der gute Pfar-
rer ſie auf den rechten Weg weiſen wollen.
Sie kam ſo weit zuruͤk, daß ſie jezt keine
groͤſſere Freude und keinen groͤſſern Troſt hatte,
als wenn dieſer Mann, den ſie waͤhrend ihrer
Verirrung fuͤr ſo ſchlimm achtete, bey und ne-
ben ihr war.

Er war gern um ſie, und es war ihm wich-
tig um ſie zu ſeyn. Er war auch heute bey

J
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0151" n="129"/>
es nimmt mich Wunder, wie du Zeit gehabt<lb/>
habe&#x017F;t &#x017F;o weit zu kommen? Sie wollte anfan-<lb/>
gen, ich habe da vom Herr Pfarrer &#x017F;elig etli-<lb/>
che Bu&#x0364;cher. &#x2014; Aber &#x2014; er unterbrach &#x017F;ie,<lb/>
und &#x017F;agte, ich halte gar nicht viel auf vielen<lb/>
Bu&#x0364;chern in Baurenha&#x0364;u&#x017F;ern. Die Bibel und<lb/>
ein Herz das in Einfalt nur nicht daran &#x017F;innt<lb/>
etwas zu erkla&#x0364;ren, was es nicht geradezu ver-<lb/>
&#x017F;teht, das &#x017F;uche ich in Baurenha&#x0364;u&#x017F;ern, und<lb/>
dann Kar&#x017F;t und Hauen, die alles unno&#x0364;thig er-<lb/>
kla&#x0364;ren, aus dem Kopf hinaustreiben: und &#x017F;o<lb/>
einer jungen Frauen &#x017F;oll das Wa&#x0364;&#x017F;chbeken, die<lb/>
Nadel und der Strehl (Kamm) hundertmal<lb/>
lieber in Ha&#x0364;nden &#x017F;eyn als alle Bu&#x0364;cher. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Die arme Frau meynte fa&#x017F;t, der Pfarrer<lb/>
la&#x0364;&#x017F;tre und rede wider Gott, da er wider ihre<lb/>
Thorheit redte, auch trug &#x017F;ie ihm die&#x017F;e Rede<lb/>
fa&#x017F;t bis an ihr Todbeth nach; &#x2014; doch kam &#x017F;ie<lb/>
in ihrer lezten Krankheit noch dahin, zu er-<lb/>
kennen, daß &#x017F;ie in ihrer Pilgrim&#x017F;chaft auf der<lb/>
Irre herumgelaufen, und daß der gute Pfar-<lb/>
rer &#x017F;ie auf den rechten Weg wei&#x017F;en wollen.<lb/>
Sie kam &#x017F;o weit zuru&#x0364;k, daß &#x017F;ie jezt keine<lb/>
gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ere Freude und keinen gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern Tro&#x017F;t hatte,<lb/>
als wenn die&#x017F;er Mann, den &#x017F;ie wa&#x0364;hrend ihrer<lb/>
Verirrung fu&#x0364;r &#x017F;o &#x017F;chlimm achtete, bey und ne-<lb/>
ben ihr war.</p><lb/>
        <p>Er war gern um &#x017F;ie, und es war ihm wich-<lb/>
tig um &#x017F;ie zu &#x017F;eyn. Er war auch heute bey<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0151] es nimmt mich Wunder, wie du Zeit gehabt habeſt ſo weit zu kommen? Sie wollte anfan- gen, ich habe da vom Herr Pfarrer ſelig etli- che Buͤcher. — Aber — er unterbrach ſie, und ſagte, ich halte gar nicht viel auf vielen Buͤchern in Baurenhaͤuſern. Die Bibel und ein Herz das in Einfalt nur nicht daran ſinnt etwas zu erklaͤren, was es nicht geradezu ver- ſteht, das ſuche ich in Baurenhaͤuſern, und dann Karſt und Hauen, die alles unnoͤthig er- klaͤren, aus dem Kopf hinaustreiben: und ſo einer jungen Frauen ſoll das Waͤſchbeken, die Nadel und der Strehl (Kamm) hundertmal lieber in Haͤnden ſeyn als alle Buͤcher. — Die arme Frau meynte faſt, der Pfarrer laͤſtre und rede wider Gott, da er wider ihre Thorheit redte, auch trug ſie ihm dieſe Rede faſt bis an ihr Todbeth nach; — doch kam ſie in ihrer lezten Krankheit noch dahin, zu er- kennen, daß ſie in ihrer Pilgrimſchaft auf der Irre herumgelaufen, und daß der gute Pfar- rer ſie auf den rechten Weg weiſen wollen. Sie kam ſo weit zuruͤk, daß ſie jezt keine groͤſſere Freude und keinen groͤſſern Troſt hatte, als wenn dieſer Mann, den ſie waͤhrend ihrer Verirrung fuͤr ſo ſchlimm achtete, bey und ne- ben ihr war. Er war gern um ſie, und es war ihm wich- tig um ſie zu ſeyn. Er war auch heute bey J

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/151
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/151>, abgerufen am 23.11.2024.