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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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Rudi. Jch muß meines Elends izt selber
lachen -- Sie hatte eben diese Sonntags-
jüppe alle Tag an, und zog die Kinder, als
wenn Bethen und Lesen alles wäre, warum
man auf der Welt lebt.

Gertrud. Damit macht man just, daß
sie das Bethen und Lesen dann wieder ver-
gessen, wenn sie es recht nöthig hätten.

Rudi. Das ist uns leider! just begegnet:
weil sie da krank worden, und nirgends kein
Brod mehr da war, so rührte sie auch kein
Buch mehr mit ihnen an, und wainte nur,
wenn ihr eins vor Augen kam.

Gertrud. Laß dir das izt zur Warnung
dienen, Rudi! und lehr eben deine Kinder,
vor allem Schwazen, Brod verdienen.

Rudi. Jch bin völlig dieser Meinung,
und will sie von Stund an zur Nähterin
schiken.

Gertrud. Du must sie erst kleiden: so
wie sie izt sind, müßen sie mir nicht zur
Stube hinaus.

Rudi. Kauff ihnen doch Zeug zu Röken
und Hembdern -- ich verstehe es nicht --
ich will das Geld heute noch entlehnen. --

Gertrud. Nichts entlehnen! Rudi! das
Zeug will ich kauffen, und im Heuet zahlst
du es.

Rudi. Warum nicht entlehnen?

Ger-

Rudi. Jch muß meines Elends izt ſelber
lachen — Sie hatte eben dieſe Sonntags-
juͤppe alle Tag an, und zog die Kinder, als
wenn Bethen und Leſen alles waͤre, warum
man auf der Welt lebt.

Gertrud. Damit macht man juſt, daß
ſie das Bethen und Leſen dann wieder ver-
geſſen, wenn ſie es recht noͤthig haͤtten.

Rudi. Das iſt uns leider! juſt begegnet:
weil ſie da krank worden, und nirgends kein
Brod mehr da war, ſo ruͤhrte ſie auch kein
Buch mehr mit ihnen an, und wainte nur,
wenn ihr eins vor Augen kam.

Gertrud. Laß dir das izt zur Warnung
dienen, Rudi! und lehr eben deine Kinder,
vor allem Schwazen, Brod verdienen.

Rudi. Jch bin voͤllig dieſer Meinung,
und will ſie von Stund an zur Naͤhterin
ſchiken.

Gertrud. Du muſt ſie erſt kleiden: ſo
wie ſie izt ſind, muͤßen ſie mir nicht zur
Stube hinaus.

Rudi. Kauff ihnen doch Zeug zu Roͤken
und Hembdern — ich verſtehe es nicht —
ich will das Geld heute noch entlehnen. —

Gertrud. Nichts entlehnen! Rudi! das
Zeug will ich kauffen, und im Heuet zahlſt
du es.

Rudi. Warum nicht entlehnen?

Ger-
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[27/0045] Rudi. Jch muß meines Elends izt ſelber lachen — Sie hatte eben dieſe Sonntags- juͤppe alle Tag an, und zog die Kinder, als wenn Bethen und Leſen alles waͤre, warum man auf der Welt lebt. Gertrud. Damit macht man juſt, daß ſie das Bethen und Leſen dann wieder ver- geſſen, wenn ſie es recht noͤthig haͤtten. Rudi. Das iſt uns leider! juſt begegnet: weil ſie da krank worden, und nirgends kein Brod mehr da war, ſo ruͤhrte ſie auch kein Buch mehr mit ihnen an, und wainte nur, wenn ihr eins vor Augen kam. Gertrud. Laß dir das izt zur Warnung dienen, Rudi! und lehr eben deine Kinder, vor allem Schwazen, Brod verdienen. Rudi. Jch bin voͤllig dieſer Meinung, und will ſie von Stund an zur Naͤhterin ſchiken. Gertrud. Du muſt ſie erſt kleiden: ſo wie ſie izt ſind, muͤßen ſie mir nicht zur Stube hinaus. Rudi. Kauff ihnen doch Zeug zu Roͤken und Hembdern — ich verſtehe es nicht — ich will das Geld heute noch entlehnen. — Gertrud. Nichts entlehnen! Rudi! das Zeug will ich kauffen, und im Heuet zahlſt du es. Rudi. Warum nicht entlehnen? Ger-

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/45>, abgerufen am 29.03.2024.