Kienast. Jch meynte, man könnte davon schweigen; Es müßte einer ein Stein seyn, wenn es heute einem nicht zu Herzen gegan- gen wäre.
§. 9. Haus-Ordnung, und Haus- Unordnung.
Gertrud gieng an diesem Morgen zu ihrem guten Nachbar, dem Hübel-Rudi, der nunmehr nicht mit den andern bey der Kirche taglöhnete: Sie wußte, daß Armuth und Niedergeschlagenheit dem Menschen allen Haushaltungsgeist so verderbt, daß, wenn er auch zufällig wieder zu Etwas kömmt, und nicht Rath und That findet, ihm so ein Glük so leicht als ein Aal im Was- ser wieder aus der Hand schlüpft: Und da sie der Großmutter auf dem Todbett ver- sprochen, sich seiner Kinder anzunehmen, so wollte sie keine Stunde versaumen, um dem Rudi, so viel sie könnte, zur Ordnung zu verhelffen, ehe schon wieder das halbe durch Unordnung zu Grund gegangen wäre. -- Sie traf noch alle Kinder im Bett an, und der Rudi war eben aufgestanden. -- Die Kleider der Kinder lagen im Boden herum;
die
Kienaſt. Jch meynte, man koͤnnte davon ſchweigen; Es muͤßte einer ein Stein ſeyn, wenn es heute einem nicht zu Herzen gegan- gen waͤre.
§. 9. Haus-Ordnung, und Haus- Unordnung.
Gertrud gieng an dieſem Morgen zu ihrem guten Nachbar, dem Huͤbel-Rudi, der nunmehr nicht mit den andern bey der Kirche tagloͤhnete: Sie wußte, daß Armuth und Niedergeſchlagenheit dem Menſchen allen Haushaltungsgeiſt ſo verderbt, daß, wenn er auch zufaͤllig wieder zu Etwas koͤmmt, und nicht Rath und That findet, ihm ſo ein Gluͤk ſo leicht als ein Aal im Waſ- ſer wieder aus der Hand ſchluͤpft: Und da ſie der Großmutter auf dem Todbett ver- ſprochen, ſich ſeiner Kinder anzunehmen, ſo wollte ſie keine Stunde verſaumen, um dem Rudi, ſo viel ſie koͤnnte, zur Ordnung zu verhelffen, ehe ſchon wieder das halbe durch Unordnung zu Grund gegangen waͤre. — Sie traf noch alle Kinder im Bett an, und der Rudi war eben aufgeſtanden. — Die Kleider der Kinder lagen im Boden herum;
die
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Kienaſt. Jch meynte, man koͤnnte davon
ſchweigen; Es muͤßte einer ein Stein ſeyn,
wenn es heute einem nicht zu Herzen gegan-
gen waͤre.
§. 9.
Haus-Ordnung, und Haus-
Unordnung.
Gertrud gieng an dieſem Morgen zu ihrem
guten Nachbar, dem Huͤbel-Rudi, der
nunmehr nicht mit den andern bey der Kirche
tagloͤhnete: Sie wußte, daß Armuth und
Niedergeſchlagenheit dem Menſchen allen
Haushaltungsgeiſt ſo verderbt, daß, wenn
er auch zufaͤllig wieder zu Etwas koͤmmt,
und nicht Rath und That findet, ihm ſo
ein Gluͤk ſo leicht als ein Aal im Waſ-
ſer wieder aus der Hand ſchluͤpft: Und
da ſie der Großmutter auf dem Todbett ver-
ſprochen, ſich ſeiner Kinder anzunehmen, ſo
wollte ſie keine Stunde verſaumen, um dem
Rudi, ſo viel ſie koͤnnte, zur Ordnung zu
verhelffen, ehe ſchon wieder das halbe durch
Unordnung zu Grund gegangen waͤre. —
Sie traf noch alle Kinder im Bett an, und
der Rudi war eben aufgeſtanden. — Die
Kleider der Kinder lagen im Boden herum;
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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/40>, abgerufen am 24.11.2024.
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