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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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auf ein grünes Zweig; seine Hausverwirrung
war vielmehr je länger je größer, so daß so
gar seine Knechte ihm nichts mehr nachfrag-
ten, sonder thaten, was sie wollten, u. ihn be-
stahlen, wo sie konnten. Er war aber auch selbst
sich vollends nicht mehr gleich. Wenn er mit je-
mand vor's Recht mußte, so war ihm angst,
und doch mußte er alle Augenblik thun, wie
wenn ihm so zu reden, nichts lieber auf der
Welt wäre, und so fiel natürlich alle Au-
genblik etwas vor, das ihn lastete und kränk-
te, und sein Leben elend machte.

Der Gedanke, daß er bald sterben konnte,
der ihm besonders daher kam, weil er seit
der Krankheit eisgrau worden, machte ihm
auch Mühe.

Der alte Schreiber wollte ihn zwar auf
seine Art darüber ruhig machen, und be-
haupten, man müße gar nicht an Tod sin-
nen, es seye gleichviel, wenn er kommen
wolle, so komme er, und sich vorher damit
zu plagen, daß man an ihn sinne, sey eine
Narrheit, denn wenn der Mensch todt seye,
so sey's mit ihm aus, wie mit dem Vieh.

Aber es ist merkwürdig. -- Jn während
der Zeit, da der Schreiber ihn über Tod
und Ewigkeit so einschläfern wollte, hat's
dem Vogt zwey Nächte hinter einander ge-
träumt, sein Vater sel. sey ihm wieder er

schie-
Y

auf ein gruͤnes Zweig; ſeine Hausverwirrung
war vielmehr je laͤnger je groͤßer, ſo daß ſo
gar ſeine Knechte ihm nichts mehr nachfrag-
ten, ſonder thaten, was ſie wollten, u. ihn be-
ſtahlen, wo ſie koñten. Er war aber auch ſelbſt
ſich vollends nicht mehr gleich. Weñ er mit je-
mand vor's Recht mußte, ſo war ihm angſt,
und doch mußte er alle Augenblik thun, wie
wenn ihm ſo zu reden, nichts lieber auf der
Welt waͤre, und ſo fiel natuͤrlich alle Au-
genblik etwas vor, das ihn laſtete und kraͤnk-
te, und ſein Leben elend machte.

Der Gedanke, daß er bald ſterben koñte,
der ihm beſonders daher kam, weil er ſeit
der Krankheit eisgrau worden, machte ihm
auch Muͤhe.

Der alte Schreiber wollte ihn zwar auf
ſeine Art daruͤber ruhig machen, und be-
haupten, man muͤße gar nicht an Tod ſin-
nen, es ſeye gleichviel, wenn er kommen
wolle, ſo komme er, und ſich vorher damit
zu plagen, daß man an ihn ſinne, ſey eine
Narrheit, denn wenn der Menſch todt ſeye,
ſo ſey's mit ihm aus, wie mit dem Vieh.

Aber es iſt merkwuͤrdig. — Jn waͤhrend
der Zeit, da der Schreiber ihn uͤber Tod
und Ewigkeit ſo einſchlaͤfern wollte, hat's
dem Vogt zwey Naͤchte hinter einander ge-
traͤumt, ſein Vater ſel. ſey ihm wieder er

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Y
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[337/0355] auf ein gruͤnes Zweig; ſeine Hausverwirrung war vielmehr je laͤnger je groͤßer, ſo daß ſo gar ſeine Knechte ihm nichts mehr nachfrag- ten, ſonder thaten, was ſie wollten, u. ihn be- ſtahlen, wo ſie koñten. Er war aber auch ſelbſt ſich vollends nicht mehr gleich. Weñ er mit je- mand vor's Recht mußte, ſo war ihm angſt, und doch mußte er alle Augenblik thun, wie wenn ihm ſo zu reden, nichts lieber auf der Welt waͤre, und ſo fiel natuͤrlich alle Au- genblik etwas vor, das ihn laſtete und kraͤnk- te, und ſein Leben elend machte. Der Gedanke, daß er bald ſterben koñte, der ihm beſonders daher kam, weil er ſeit der Krankheit eisgrau worden, machte ihm auch Muͤhe. Der alte Schreiber wollte ihn zwar auf ſeine Art daruͤber ruhig machen, und be- haupten, man muͤße gar nicht an Tod ſin- nen, es ſeye gleichviel, wenn er kommen wolle, ſo komme er, und ſich vorher damit zu plagen, daß man an ihn ſinne, ſey eine Narrheit, denn wenn der Menſch todt ſeye, ſo ſey's mit ihm aus, wie mit dem Vieh. Aber es iſt merkwuͤrdig. — Jn waͤhrend der Zeit, da der Schreiber ihn uͤber Tod und Ewigkeit ſo einſchlaͤfern wollte, hat's dem Vogt zwey Naͤchte hinter einander ge- traͤumt, ſein Vater ſel. ſey ihm wieder er ſchie- Y

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/355>, abgerufen am 04.05.2024.