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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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Jedermann hatte es vor sicher genommen,
seiner los zu werden, und in den ersten Ta-
gen seiner Krankheit friegen alle Nachbarn
einander den Tag über wohl zehn und zwan-
zigmal, wie es um ihn stehe? -- und am
Morgen zükten Alte und Junge die Achsel,
wenn es hieß: er hat einmal die Nacht über-
standen, und sey noch da.

Später tönte die Sache noch übler -- Jch
hab' ihn heut wieder donnern gehört wie vor
altem -- es fallt mit ihm wieder auf die
schlimmere Seite -- er hat uns vergebens
lange Zähn gemacht; -- Unkraut verdirbt
nicht, es fällt eher ein Regen darauf -- und
auch was den Vögeln gehört, wird nicht den
Fischen -- das war die Sprache, die Jun-
ges und Altes über seine Genesung führte --
und als er izt wieder aufkame, und sich in
Holz und Feld, in der Kirche und im Schloß
stolz und kek wieder zeigte, war's nicht an-
derst, wie wenn dem Dorf das gröste Un-
glük begegnet wäre, so still und betroffen
war jedermann.

Er hatte sich in Kopf gesezt, es werde
ihm Jung und Altes die Hände entgen stre-
ken, und Glük wünschen, daß er wieder ent-
ronnen; aber es kam niemand kein Sinn da-
ran, und er sah mit seinen Augen, daß Wei-
ber und Männer starke Schritte nahmen,

um

Jedermann hatte es vor ſicher genommen,
ſeiner los zu werden, und in den erſten Ta-
gen ſeiner Krankheit friegen alle Nachbarn
einander den Tag uͤber wohl zehn und zwan-
zigmal, wie es um ihn ſtehe? — und am
Morgen zuͤkten Alte und Junge die Achſel,
wenn es hieß: er hat einmal die Nacht uͤber-
ſtanden, und ſey noch da.

Spaͤter toͤnte die Sache noch uͤbler — Jch
hab' ihn heut wieder donnern gehoͤrt wie vor
altem — es fallt mit ihm wieder auf die
ſchlimmere Seite — er hat uns vergebens
lange Zaͤhn gemacht; — Unkraut verdirbt
nicht, es faͤllt eher ein Regen darauf — und
auch was den Voͤgeln gehoͤrt, wird nicht den
Fiſchen — das war die Sprache, die Jun-
ges und Altes uͤber ſeine Geneſung fuͤhrte —
und als er izt wieder aufkame, und ſich in
Holz und Feld, in der Kirche und im Schloß
ſtolz und kek wieder zeigte, war's nicht an-
derſt, wie wenn dem Dorf das groͤſte Un-
gluͤk begegnet waͤre, ſo ſtill und betroffen
war jedermann.

Er hatte ſich in Kopf geſezt, es werde
ihm Jung und Altes die Haͤnde entgen ſtre-
ken, und Gluͤk wuͤnſchen, daß er wieder ent-
ronnen; aber es kam niemand kein Sinn da-
ran, und er ſah mit ſeinen Augen, daß Wei-
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[316/0334] Jedermann hatte es vor ſicher genommen, ſeiner los zu werden, und in den erſten Ta- gen ſeiner Krankheit friegen alle Nachbarn einander den Tag uͤber wohl zehn und zwan- zigmal, wie es um ihn ſtehe? — und am Morgen zuͤkten Alte und Junge die Achſel, wenn es hieß: er hat einmal die Nacht uͤber- ſtanden, und ſey noch da. Spaͤter toͤnte die Sache noch uͤbler — Jch hab' ihn heut wieder donnern gehoͤrt wie vor altem — es fallt mit ihm wieder auf die ſchlimmere Seite — er hat uns vergebens lange Zaͤhn gemacht; — Unkraut verdirbt nicht, es faͤllt eher ein Regen darauf — und auch was den Voͤgeln gehoͤrt, wird nicht den Fiſchen — das war die Sprache, die Jun- ges und Altes uͤber ſeine Geneſung fuͤhrte — und als er izt wieder aufkame, und ſich in Holz und Feld, in der Kirche und im Schloß ſtolz und kek wieder zeigte, war's nicht an- derſt, wie wenn dem Dorf das groͤſte Un- gluͤk begegnet waͤre, ſo ſtill und betroffen war jedermann. Er hatte ſich in Kopf geſezt, es werde ihm Jung und Altes die Haͤnde entgen ſtre- ken, und Gluͤk wuͤnſchen, daß er wieder ent- ronnen; aber es kam niemand kein Sinn da- ran, und er ſah mit ſeinen Augen, daß Wei- ber und Maͤnner ſtarke Schritte nahmen, um

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/334>, abgerufen am 22.11.2024.