ins Grab gelegt hätte; aber er wollte auch da er am äußersten war, vom Tod nichts hören, sagte des Tags seine zwanzig und dreyßigmal, auch wenn ihn kein Mensch fragte, es fehle im nur im Kopf und in den Gliedern, um's Herz sey er so gesund als ein Reynegli. --(*)
Er zwang sich, da er weder stehen noch gehen konnte, alle Tage aus dem Beth, ließ alle Tag, wenn er auch fast nicht reden konnte, diesen oder jenen zu sich kommen, um etwas zu meistern oder zanken zu können.
Jedermann gab ihm natürlich während der Krankheit vor Augen und hinterm Tisch gu- te Wort; aber jedermann suchte auch wie- der so geschwind möglich von ihm wegzukom- men. Und die Forcht vor ihm minderte im ganzen Dorf; es wußte es ein jeder, daß es ihn aufbringe, wenn man ihm sagte, er habe so stark abgenommen, oder er sehe noch so übel aus, und doch gieng fast kein Tag vor- über, daß das nicht jemand, und meisten- theils noch aus Bosheit zu ihm sagte. -- Er mußte sieben Wochen nach der Krank- heit noch am Stabe gehen, und sah um zehn Jahr älter aus.
Je-
(*) Reynegli, ein kleiner Fisch, der ein sehr star- kes Leben haben soll.
ins Grab gelegt haͤtte; aber er wollte auch da er am aͤußerſten war, vom Tod nichts hoͤren, ſagte des Tags ſeine zwanzig und dreyßigmal, auch wenn ihn kein Menſch fragte, es fehle im nur im Kopf und in den Gliedern, um's Herz ſey er ſo geſund als ein Reynegli. —(*)
Er zwang ſich, da er weder ſtehen noch gehen konnte, alle Tage aus dem Beth, ließ alle Tag, wenn er auch faſt nicht reden konnte, dieſen oder jenen zu ſich kommen, um etwas zu meiſtern oder zanken zu koͤnnen.
Jedermann gab ihm natuͤrlich waͤhrend der Krankheit vor Augen und hinterm Tiſch gu- te Wort; aber jedermann ſuchte auch wie- der ſo geſchwind moͤglich von ihm wegzukom- men. Und die Forcht vor ihm minderte im ganzen Dorf; es wußte es ein jeder, daß es ihn aufbringe, wenn man ihm ſagte, er habe ſo ſtark abgenommen, oder er ſehe noch ſo uͤbel aus, und doch gieng faſt kein Tag vor- uͤber, daß das nicht jemand, und meiſten- theils noch aus Bosheit zu ihm ſagte. — Er mußte ſieben Wochen nach der Krank- heit noch am Stabe gehen, und ſah um zehn Jahr aͤlter aus.
Je-
(*) Reynegli, ein kleiner Fiſch, der ein ſehr ſtar- kes Leben haben ſoll.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0333"n="315"/>
ins Grab gelegt haͤtte; aber er wollte auch<lb/>
da er am aͤußerſten war, vom Tod nichts<lb/>
hoͤren, ſagte des Tags ſeine zwanzig und<lb/>
dreyßigmal, auch wenn ihn kein Menſch<lb/>
fragte, es fehle im nur im Kopf und in<lb/>
den Gliedern, um's Herz ſey er ſo geſund<lb/>
als ein Reynegli. —<noteplace="foot"n="(*)">Reynegli, ein kleiner Fiſch, der ein ſehr ſtar-<lb/>
kes Leben haben ſoll.</note></p><lb/><p>Er zwang ſich, da er weder ſtehen noch<lb/>
gehen konnte, alle Tage aus dem Beth,<lb/>
ließ alle Tag, wenn er auch faſt nicht reden<lb/>
konnte, dieſen oder jenen zu ſich kommen,<lb/>
um etwas zu meiſtern oder zanken zu koͤnnen.</p><lb/><p>Jedermann gab ihm natuͤrlich waͤhrend der<lb/>
Krankheit vor Augen und hinterm Tiſch gu-<lb/>
te Wort; aber jedermann ſuchte auch wie-<lb/>
der ſo geſchwind moͤglich von ihm wegzukom-<lb/>
men. Und die Forcht vor ihm minderte im<lb/>
ganzen Dorf; es wußte es ein jeder, daß es<lb/>
ihn aufbringe, wenn man ihm ſagte, er habe<lb/>ſo ſtark abgenommen, oder er ſehe noch ſo<lb/>
uͤbel aus, und doch gieng faſt kein Tag vor-<lb/>
uͤber, daß das nicht jemand, und meiſten-<lb/>
theils noch aus Bosheit zu ihm ſagte. —<lb/>
Er mußte ſieben Wochen nach der Krank-<lb/>
heit noch am Stabe gehen, und ſah um<lb/>
zehn Jahr aͤlter aus.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Je-</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[315/0333]
ins Grab gelegt haͤtte; aber er wollte auch
da er am aͤußerſten war, vom Tod nichts
hoͤren, ſagte des Tags ſeine zwanzig und
dreyßigmal, auch wenn ihn kein Menſch
fragte, es fehle im nur im Kopf und in
den Gliedern, um's Herz ſey er ſo geſund
als ein Reynegli. — (*)
Er zwang ſich, da er weder ſtehen noch
gehen konnte, alle Tage aus dem Beth,
ließ alle Tag, wenn er auch faſt nicht reden
konnte, dieſen oder jenen zu ſich kommen,
um etwas zu meiſtern oder zanken zu koͤnnen.
Jedermann gab ihm natuͤrlich waͤhrend der
Krankheit vor Augen und hinterm Tiſch gu-
te Wort; aber jedermann ſuchte auch wie-
der ſo geſchwind moͤglich von ihm wegzukom-
men. Und die Forcht vor ihm minderte im
ganzen Dorf; es wußte es ein jeder, daß es
ihn aufbringe, wenn man ihm ſagte, er habe
ſo ſtark abgenommen, oder er ſehe noch ſo
uͤbel aus, und doch gieng faſt kein Tag vor-
uͤber, daß das nicht jemand, und meiſten-
theils noch aus Bosheit zu ihm ſagte. —
Er mußte ſieben Wochen nach der Krank-
heit noch am Stabe gehen, und ſah um
zehn Jahr aͤlter aus.
Je-
(*) Reynegli, ein kleiner Fiſch, der ein ſehr ſtar-
kes Leben haben ſoll.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/333>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.