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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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Umständen leben, zu seinem Vortheil zu ge-
brauchen, und besaß die Kunst, von jeder-
mann wie aus dem hintersten Winkel her-
aus zu loken, wie und worinn sie glaubten
und meynten, daß ihnen Unrecht geschehen.

Und es brauchte nur das, so hatte er sie
sicher in seinen Klauen, und griff sie dann
an der schwachen Seite an, die er nun an
ihnen kannte.

Waren es Kinder, waren's Dienste, wa-
ren's Eltern; er wußte mit einem jeden zu
reden, und ihm sein Zutrauen zu stählen.

Dem störrischen Kinde sagte er: Warum
es doch einer Mutter folge, die so eine Frau
seye wie diese.

Dem Hoffärtigen: Sein Vater sollte sich
schämen, daß er ihm dieß und jenes nicht
gebe, wie es andre haben, die gar viel we-
niger im Vermögen haben, als er.

Dem Fleißigen: Es sey ein Narre, daß
es sich so plage, und nicht mehr Dank da-
von trage.

Dem Gewinnsüchtigen: Es würde unter
den Fremden wohl zehnmal mehr verdienen
als daheim.

Dem Trägen: Warum es doch vom Mor-
gen bis an den Abend so angespannt seyn
möge, wie ein Roß am Karren.

Dem

Umſtaͤnden leben, zu ſeinem Vortheil zu ge-
brauchen, und beſaß die Kunſt, von jeder-
mann wie aus dem hinterſten Winkel her-
aus zu loken, wie und worinn ſie glaubten
und meynten, daß ihnen Unrecht geſchehen.

Und es brauchte nur das, ſo hatte er ſie
ſicher in ſeinen Klauen, und griff ſie dann
an der ſchwachen Seite an, die er nun an
ihnen kannte.

Waren es Kinder, waren's Dienſte, wa-
ren's Eltern; er wußte mit einem jeden zu
reden, und ihm ſein Zutrauen zu ſtaͤhlen.

Dem ſtoͤrriſchen Kinde ſagte er: Warum
es doch einer Mutter folge, die ſo eine Frau
ſeye wie dieſe.

Dem Hoffaͤrtigen: Sein Vater ſollte ſich
ſchaͤmen, daß er ihm dieß und jenes nicht
gebe, wie es andre haben, die gar viel we-
niger im Vermoͤgen haben, als er.

Dem Fleißigen: Es ſey ein Narre, daß
es ſich ſo plage, und nicht mehr Dank da-
von trage.

Dem Gewinnſuͤchtigen: Es wuͤrde unter
den Fremden wohl zehnmal mehr verdienen
als daheim.

Dem Traͤgen: Warum es doch vom Mor-
gen bis an den Abend ſo angeſpannt ſeyn
moͤge, wie ein Roß am Karren.

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[274/0292] Umſtaͤnden leben, zu ſeinem Vortheil zu ge- brauchen, und beſaß die Kunſt, von jeder- mann wie aus dem hinterſten Winkel her- aus zu loken, wie und worinn ſie glaubten und meynten, daß ihnen Unrecht geſchehen. Und es brauchte nur das, ſo hatte er ſie ſicher in ſeinen Klauen, und griff ſie dann an der ſchwachen Seite an, die er nun an ihnen kannte. Waren es Kinder, waren's Dienſte, wa- ren's Eltern; er wußte mit einem jeden zu reden, und ihm ſein Zutrauen zu ſtaͤhlen. Dem ſtoͤrriſchen Kinde ſagte er: Warum es doch einer Mutter folge, die ſo eine Frau ſeye wie dieſe. Dem Hoffaͤrtigen: Sein Vater ſollte ſich ſchaͤmen, daß er ihm dieß und jenes nicht gebe, wie es andre haben, die gar viel we- niger im Vermoͤgen haben, als er. Dem Fleißigen: Es ſey ein Narre, daß es ſich ſo plage, und nicht mehr Dank da- von trage. Dem Gewinnſuͤchtigen: Es wuͤrde unter den Fremden wohl zehnmal mehr verdienen als daheim. Dem Traͤgen: Warum es doch vom Mor- gen bis an den Abend ſo angeſpannt ſeyn moͤge, wie ein Roß am Karren. Dem

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/292>, abgerufen am 22.11.2024.