§. 67. Zu beweisen, daß die Menschen das werden, was man aus ihnen macht.
Es hatte sich seit diesem paar Tage alles im Dorf so geändert, daß man sich fast nicht mehr kennen konnte. Vorzüglich wollte izt jedermann mit dem Pfarrer gut Freund seyn. Die Weiber machten's am buntesten. Wenn er vorbey gieng, rieffen sie ihren Kindern aus den Fenstern über die Gasse zu: "Siehst du auch den wohlehr- würdigen Herrn Pfarrer? gieb ihm auch s' Händli." Die Männer waren überhaupt stil- ler, doch auch freundlich: aber fast jedermann schämte sich, der eine ob dem, der andre ob die- sem; der eine gab dem, der andre einem andern schuld: aber jedermann gestuhnd, daß man un- recht, u. der Junker recht gehabt. Alles war izt gar dem Maurer und der Frauen zur Auf- wart, und alles ließ izt den Hartknopf, den Kriecher, und so gar des Siegristen Leut stehen und gehen. Sogar der Lips mußte entgelten, was er gethan. "Hüni, Hüni, du hast ein wüstes Ey gelegt," rieffen ihm links und rechts Junges und Altes zu.
Der
§. 67. Zu beweiſen, daß die Menſchen das werden, was man aus ihnen macht.
Es hatte ſich ſeit dieſem paar Tage alles im Dorf ſo geaͤndert, daß man ſich faſt nicht mehr kennen konnte. Vorzuͤglich wollte izt jedermann mit dem Pfarrer gut Freund ſeyn. Die Weiber machten's am bunteſten. Wenn er vorbey gieng, rieffen ſie ihren Kindern aus den Fenſtern uͤber die Gaſſe zu: „Siehſt du auch den wohlehr- wuͤrdigen Herrn Pfarrer? gieb ihm auch s' Haͤndli.“ Die Maͤñer waren uͤberhaupt ſtil- ler, doch auch freundlich: aber faſt jedermann ſchaͤmte ſich, der eine ob dem, der andre ob die- ſem; der eine gab dem, der andre einem andern ſchuld: aber jedermann geſtuhnd, daß man un- recht, u. der Junker recht gehabt. Alles war izt gar dem Maurer und der Frauen zur Auf- wart, und alles ließ izt den Hartknopf, den Kriecher, und ſo gar des Siegriſten Leut ſtehen und gehen. Sogar der Lips mußte entgelten, was er gethan. „Huͤni, Huͤni, du haſt ein wuͤſtes Ey gelegt,“ rieffen ihm links und rechts Junges und Altes zu.
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§. 67.
Zu beweiſen, daß die Menſchen das
werden, was man aus ihnen
macht.
Es hatte ſich ſeit dieſem paar Tage alles
im Dorf ſo geaͤndert, daß man ſich
faſt nicht mehr kennen konnte. Vorzuͤglich
wollte izt jedermann mit dem Pfarrer gut
Freund ſeyn. Die Weiber machten's am
bunteſten. Wenn er vorbey gieng, rieffen
ſie ihren Kindern aus den Fenſtern uͤber die
Gaſſe zu: „Siehſt du auch den wohlehr-
wuͤrdigen Herrn Pfarrer? gieb ihm auch
s' Haͤndli.“ Die Maͤñer waren uͤberhaupt ſtil-
ler, doch auch freundlich: aber faſt jedermann
ſchaͤmte ſich, der eine ob dem, der andre ob die-
ſem; der eine gab dem, der andre einem andern
ſchuld: aber jedermann geſtuhnd, daß man un-
recht, u. der Junker recht gehabt. Alles war izt
gar dem Maurer und der Frauen zur Auf-
wart, und alles ließ izt den Hartknopf,
den Kriecher, und ſo gar des Siegriſten Leut
ſtehen und gehen. Sogar der Lips mußte
entgelten, was er gethan. „Huͤni, Huͤni,
du haſt ein wuͤſtes Ey gelegt,“ rieffen ihm
links und rechts Junges und Altes zu.
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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/260>, abgerufen am 25.11.2024.
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