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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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Ein Hauptwort, das der Pfarrer zu ihm
sagte, war dieses: Hartknopf -- ich möchte
dir eben zeigen, wie man in der Welt ohne
Kränkung leben kann.

Und ich möchte es gern wissen, antwor-
tete der Hartknopf.

Man muß nur immer den geraden Weg
gehen, erwiederte der Pfarrer.

Aber was ist der gerade Weg? sagte der
Ehegaumer.

Alles, was ihr wollet, das euch die Men-
schen thun sollen, das thut ihr auch ihnen,
erwiederte der Pfarrer.

Der Hartknopf wollte hier ausweichen,
und dieß und jenes anbringen. Aber der
Pfarrer hielt ihn fest, und sagte ihm, daß
sein Unglük just daher komme, daß er die-
sen geraden Weg nicht gegangen, und in
keinem Stük liebreich und gutmüthig mit
seinen Nebenmenschen gelebet, und gieng
recht tief mit ihm in die Materie seines Le-
bens hinein, und sagte ihm unter anderm
auch dieses: Hartknopf, du bist ein rech-
ter Meynungen-Narr gewesen, und hast
immer vergessen, daß wir alle blind sind
auf Erden, und uns darum nie über keine
Meynungen erzanken und ereifern sollten.
Und es ist recht heydnisch, wie du an dei-
nen Meynungen gehangen, wie wenn sie

selbst

Ein Hauptwort, das der Pfarrer zu ihm
ſagte, war dieſes: Hartknopf — ich moͤchte
dir eben zeigen, wie man in der Welt ohne
Kraͤnkung leben kann.

Und ich moͤchte es gern wiſſen, antwor-
tete der Hartknopf.

Man muß nur immer den geraden Weg
gehen, erwiederte der Pfarrer.

Aber was iſt der gerade Weg? ſagte der
Ehegaumer.

Alles, was ihr wollet, das euch die Men-
ſchen thun ſollen, das thut ihr auch ihnen,
erwiederte der Pfarrer.

Der Hartknopf wollte hier ausweichen,
und dieß und jenes anbringen. Aber der
Pfarrer hielt ihn feſt, und ſagte ihm, daß
ſein Ungluͤk juſt daher komme, daß er die-
ſen geraden Weg nicht gegangen, und in
keinem Stuͤk liebreich und gutmuͤthig mit
ſeinen Nebenmenſchen gelebet, und gieng
recht tief mit ihm in die Materie ſeines Le-
bens hinein, und ſagte ihm unter anderm
auch dieſes: Hartknopf, du biſt ein rech-
ter Meynungen-Narr geweſen, und haſt
immer vergeſſen, daß wir alle blind ſind
auf Erden, und uns darum nie uͤber keine
Meynungen erzanken und ereifern ſollten.
Und es iſt recht heydniſch, wie du an dei-
nen Meynungen gehangen, wie wenn ſie

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[236/0254] Ein Hauptwort, das der Pfarrer zu ihm ſagte, war dieſes: Hartknopf — ich moͤchte dir eben zeigen, wie man in der Welt ohne Kraͤnkung leben kann. Und ich moͤchte es gern wiſſen, antwor- tete der Hartknopf. Man muß nur immer den geraden Weg gehen, erwiederte der Pfarrer. Aber was iſt der gerade Weg? ſagte der Ehegaumer. Alles, was ihr wollet, das euch die Men- ſchen thun ſollen, das thut ihr auch ihnen, erwiederte der Pfarrer. Der Hartknopf wollte hier ausweichen, und dieß und jenes anbringen. Aber der Pfarrer hielt ihn feſt, und ſagte ihm, daß ſein Ungluͤk juſt daher komme, daß er die- ſen geraden Weg nicht gegangen, und in keinem Stuͤk liebreich und gutmuͤthig mit ſeinen Nebenmenſchen gelebet, und gieng recht tief mit ihm in die Materie ſeines Le- bens hinein, und ſagte ihm unter anderm auch dieſes: Hartknopf, du biſt ein rech- ter Meynungen-Narr geweſen, und haſt immer vergeſſen, daß wir alle blind ſind auf Erden, und uns darum nie uͤber keine Meynungen erzanken und ereifern ſollten. Und es iſt recht heydniſch, wie du an dei- nen Meynungen gehangen, wie wenn ſie ſelbſt

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/254>, abgerufen am 18.05.2024.