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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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Der Pfarrer sagte, er habe kein Gewis-
sen, und verstehe selbst am wenigsten, wie
und wo die Arzneyen angreiffen müssen.

Treufaug antwortete, die andern verstühn-
den nicht mehr, als er, und er habe sein
Gewissen im gleichen Kasten wo sie.

Es gieng eine Weile fort in diesem Ton.
Endlich wurde der Pfarrer lebhaft, und
sagte: Die Umstände mit der Vögtin sind
so, daß wenn man sie aufschneiden wird,
so kommt, so gewiß der Tag am Himmel ist,
aus, ihr habet sie vergiftet.

So bald das Wort aufschneiden dem
Pfarrer zum Mund heraus war, wurde der
Treufaug betroffen, änderte seine Sprache,
und sagte ganz demüthig: Er habe in Gottes
Namen sein möglichstes gethan; und wenn
sein Leben darauf gestanden wäre, so hätte
er nicht mehr thun, und es nicht besser ma-
chen können, als er gethan.

Aber auch das ließ ihm der Pfarrer nicht
gelten, und sagte zu ihm: Jhr seyd ja izt
drey Tage nur mehr nicht zu ihr gekommen,
und habt sie liegen lassen, wie kein ehrlicher
Viehdoktor ein krankes Haupt Viehe liegen
läßt, wenn er sich seiner einmal angenommen.

Der Treufaug wollte allerhand Ursachen
vorbringen, warum er diese drey Tage nie
zur Vögtin gekommen; -- aber er stokete. --

Der

Der Pfarrer ſagte, er habe kein Gewiſ-
ſen, und verſtehe ſelbſt am wenigſten, wie
und wo die Arzneyen angreiffen muͤſſen.

Treufaug antwortete, die andern verſtuͤhn-
den nicht mehr, als er, und er habe ſein
Gewiſſen im gleichen Kaſten wo ſie.

Es gieng eine Weile fort in dieſem Ton.
Endlich wurde der Pfarrer lebhaft, und
ſagte: Die Umſtaͤnde mit der Voͤgtin ſind
ſo, daß wenn man ſie aufſchneiden wird,
ſo kommt, ſo gewiß der Tag am Himmel iſt,
aus, ihr habet ſie vergiftet.

So bald das Wort aufſchneiden dem
Pfarrer zum Mund heraus war, wurde der
Treufaug betroffen, aͤnderte ſeine Sprache,
und ſagte ganz demuͤthig: Er habe in Gottes
Namen ſein moͤglichſtes gethan; und wenn
ſein Leben darauf geſtanden waͤre, ſo haͤtte
er nicht mehr thun, und es nicht beſſer ma-
chen koͤnnen, als er gethan.

Aber auch das ließ ihm der Pfarrer nicht
gelten, und ſagte zu ihm: Jhr ſeyd ja izt
drey Tage nur mehr nicht zu ihr gekommen,
und habt ſie liegen laſſen, wie kein ehrlicher
Viehdoktor ein krankes Haupt Viehe liegen
laͤßt, wenn er ſich ſeiner einmal angenom̃en.

Der Treufaug wollte allerhand Urſachen
vorbringen, warum er dieſe drey Tage nie
zur Voͤgtin gekommen; — aber er ſtokete. —

Der
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[216/0234] Der Pfarrer ſagte, er habe kein Gewiſ- ſen, und verſtehe ſelbſt am wenigſten, wie und wo die Arzneyen angreiffen muͤſſen. Treufaug antwortete, die andern verſtuͤhn- den nicht mehr, als er, und er habe ſein Gewiſſen im gleichen Kaſten wo ſie. Es gieng eine Weile fort in dieſem Ton. Endlich wurde der Pfarrer lebhaft, und ſagte: Die Umſtaͤnde mit der Voͤgtin ſind ſo, daß wenn man ſie aufſchneiden wird, ſo kommt, ſo gewiß der Tag am Himmel iſt, aus, ihr habet ſie vergiftet. So bald das Wort aufſchneiden dem Pfarrer zum Mund heraus war, wurde der Treufaug betroffen, aͤnderte ſeine Sprache, und ſagte ganz demuͤthig: Er habe in Gottes Namen ſein moͤglichſtes gethan; und wenn ſein Leben darauf geſtanden waͤre, ſo haͤtte er nicht mehr thun, und es nicht beſſer ma- chen koͤnnen, als er gethan. Aber auch das ließ ihm der Pfarrer nicht gelten, und ſagte zu ihm: Jhr ſeyd ja izt drey Tage nur mehr nicht zu ihr gekommen, und habt ſie liegen laſſen, wie kein ehrlicher Viehdoktor ein krankes Haupt Viehe liegen laͤßt, wenn er ſich ſeiner einmal angenom̃en. Der Treufaug wollte allerhand Urſachen vorbringen, warum er dieſe drey Tage nie zur Voͤgtin gekommen; — aber er ſtokete. — Der

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/234>, abgerufen am 23.11.2024.