Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

ste, und der schlimmste was der beste. --
Und der Pfarrer sagte zum Junker: Jch
will es ewig nicht vergessen, daß ich selber
auf Wegen gewandelt, auf denen ich hätte
werden können, was der Vogt worden ist.
Ja lieber Junker -- damals, als ich vier
Jahr lang ohne Brod, ohne Dienst, und
ohne Hilf herumirrte, und wie ein Bättler
vor das Schloß euers Großvaters kam,
lernte ich, was der Mensch ist, und was er
werden kann.

Der Junker umarmte izt den Pfarrer,
dieser aber sagte nach einer Weile, wie in
einer Art von Entzükung:

Wir alle trinken an der Quelle des Elen-
des, die diesen Mann verheeret -- und ein
Gott ists, der den einen früher, den andern
später von dem Gift dieser Quelle heilet; --
und ihr Gift selbst wird dem einen ein Ge-
ruch des Lebens zum Leben, dem andern aber
ein Geruch des Todes zum Tode, und wenn
wir nicht auf jenes Leben hofften, so wäre
der Zustand von Millionen Menschen, wel-
che unter Umständen leben, die sie fast unwi-
derstehlich und unwiederbringlich ins Verder-
ben stürzen -- mit der Gerechtigkeit Gottes
nicht zu vergleichen, und der Mensch wäre
die elendeste unter allen Creaturen.

Ja,
N

ſte, und der ſchlimmſte was der beſte. —
Und der Pfarrer ſagte zum Junker: Jch
will es ewig nicht vergeſſen, daß ich ſelber
auf Wegen gewandelt, auf denen ich haͤtte
werden koͤnnen, was der Vogt worden iſt.
Ja lieber Junker — damals, als ich vier
Jahr lang ohne Brod, ohne Dienſt, und
ohne Hilf herumirrte, und wie ein Baͤttler
vor das Schloß euers Großvaters kam,
lernte ich, was der Menſch iſt, und was er
werden kann.

Der Junker umarmte izt den Pfarrer,
dieſer aber ſagte nach einer Weile, wie in
einer Art von Entzuͤkung:

Wir alle trinken an der Quelle des Elen-
des, die dieſen Mann verheeret — und ein
Gott iſts, der den einen fruͤher, den andern
ſpaͤter von dem Gift dieſer Quelle heilet; —
und ihr Gift ſelbſt wird dem einen ein Ge-
ruch des Lebens zum Leben, dem andern aber
ein Geruch des Todes zum Tode, und wenn
wir nicht auf jenes Leben hofften, ſo waͤre
der Zuſtand von Millionen Menſchen, wel-
che unter Umſtaͤnden leben, die ſie faſt unwi-
derſtehlich und unwiederbringlich ins Verder-
ben ſtuͤrzen — mit der Gerechtigkeit Gottes
nicht zu vergleichen, und der Menſch waͤre
die elendeſte unter allen Creaturen.

Ja,
N
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0211" n="193"/>
&#x017F;te, und der &#x017F;chlimm&#x017F;te was der be&#x017F;te. &#x2014;<lb/>
Und der Pfarrer &#x017F;agte zum Junker: Jch<lb/>
will es ewig nicht verge&#x017F;&#x017F;en, daß ich &#x017F;elber<lb/>
auf Wegen gewandelt, auf denen ich ha&#x0364;tte<lb/>
werden ko&#x0364;nnen, was der Vogt worden i&#x017F;t.<lb/>
Ja lieber Junker &#x2014; damals, als ich vier<lb/>
Jahr lang ohne Brod, ohne Dien&#x017F;t, und<lb/>
ohne Hilf herumirrte, und wie ein Ba&#x0364;ttler<lb/>
vor das Schloß euers Großvaters kam,<lb/>
lernte ich, was der Men&#x017F;ch i&#x017F;t, und was er<lb/>
werden kann.</p><lb/>
          <p>Der Junker umarmte izt den Pfarrer,<lb/>
die&#x017F;er aber &#x017F;agte nach einer Weile, wie in<lb/>
einer Art von Entzu&#x0364;kung:</p><lb/>
          <p>Wir alle trinken an der Quelle des Elen-<lb/>
des, die die&#x017F;en Mann verheeret &#x2014; und ein<lb/>
Gott i&#x017F;ts, der den einen fru&#x0364;her, den andern<lb/>
&#x017F;pa&#x0364;ter von dem Gift die&#x017F;er Quelle heilet; &#x2014;<lb/>
und ihr Gift &#x017F;elb&#x017F;t wird dem einen ein Ge-<lb/>
ruch des Lebens zum Leben, dem andern aber<lb/>
ein Geruch des Todes zum Tode, und wenn<lb/>
wir nicht auf jenes Leben hofften, &#x017F;o wa&#x0364;re<lb/>
der Zu&#x017F;tand von Millionen Men&#x017F;chen, wel-<lb/>
che unter Um&#x017F;ta&#x0364;nden leben, die &#x017F;ie fa&#x017F;t unwi-<lb/>
der&#x017F;tehlich und unwiederbringlich ins Verder-<lb/>
ben &#x017F;tu&#x0364;rzen &#x2014; mit der Gerechtigkeit Gottes<lb/>
nicht zu vergleichen, und der Men&#x017F;ch wa&#x0364;re<lb/>
die elende&#x017F;te unter allen Creaturen.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">N</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Ja,</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[193/0211] ſte, und der ſchlimmſte was der beſte. — Und der Pfarrer ſagte zum Junker: Jch will es ewig nicht vergeſſen, daß ich ſelber auf Wegen gewandelt, auf denen ich haͤtte werden koͤnnen, was der Vogt worden iſt. Ja lieber Junker — damals, als ich vier Jahr lang ohne Brod, ohne Dienſt, und ohne Hilf herumirrte, und wie ein Baͤttler vor das Schloß euers Großvaters kam, lernte ich, was der Menſch iſt, und was er werden kann. Der Junker umarmte izt den Pfarrer, dieſer aber ſagte nach einer Weile, wie in einer Art von Entzuͤkung: Wir alle trinken an der Quelle des Elen- des, die dieſen Mann verheeret — und ein Gott iſts, der den einen fruͤher, den andern ſpaͤter von dem Gift dieſer Quelle heilet; — und ihr Gift ſelbſt wird dem einen ein Ge- ruch des Lebens zum Leben, dem andern aber ein Geruch des Todes zum Tode, und wenn wir nicht auf jenes Leben hofften, ſo waͤre der Zuſtand von Millionen Menſchen, wel- che unter Umſtaͤnden leben, die ſie faſt unwi- derſtehlich und unwiederbringlich ins Verder- ben ſtuͤrzen — mit der Gerechtigkeit Gottes nicht zu vergleichen, und der Menſch waͤre die elendeſte unter allen Creaturen. Ja, N

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/211
Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/211>, abgerufen am 23.11.2024.