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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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bringt ihn der Henker". Die Knaben schos-
sen ab den Mauren und Bäumen, wo er
vorbeygieng. Die Mädchen standen bey Du-
zenden Hand in Hand geschlungen hinter den
Zäunen, und auf den Anhöhen an der Seite
des Wegs, und waren lustig und freudig,
und lachten ob seinem Spaziergang. Nicht
alle lachten -- Emillens Grithe stand am
Arm ihrer Mutter unter ihrer Thüre, und
troknete ihre Thränen. Er sah sie, und ihr
Jammerblik traf sein Auge -- Er erblaßte
-- Das Mädchen wandte sein Angesicht ge-
gen seine Mutter und wainte laut. -- Er
hatte vor kurzem ihren Geliebten den Wer-
bern verhandelt, wie man ein Stük Vieh
den Mezgern verhandelt. Fast an allen Fen-
stern, fast unter allen Thüren stieß Jemand
ein Fluch aus, wo er vorbeygieng; hie und
da brauchten böse Weiber das Maul ganz,
und drohten ihm mit Mistgabeln und Besen.

So giengs ihm den ganzen Weg den Berg
hinauf und wieder hinunter; nur vor Lien-
hards Haus sah man keinen Menschen; kei-
ne Thür und kein Fenster war offen.



§. 2.

bringt ihn der Henker“. Die Knaben ſchoſ-
ſen ab den Mauren und Baͤumen, wo er
vorbeygieng. Die Maͤdchen ſtanden bey Du-
zenden Hand in Hand geſchlungen hinter den
Zaͤunen, und auf den Anhoͤhen an der Seite
des Wegs, und waren luſtig und freudig,
und lachten ob ſeinem Spaziergang. Nicht
alle lachten — Emillens Grithe ſtand am
Arm ihrer Mutter unter ihrer Thuͤre, und
troknete ihre Thraͤnen. Er ſah ſie, und ihr
Jammerblik traf ſein Auge — Er erblaßte
— Das Maͤdchen wandte ſein Angeſicht ge-
gen ſeine Mutter und wainte laut. — Er
hatte vor kurzem ihren Geliebten den Wer-
bern verhandelt, wie man ein Stuͤk Vieh
den Mezgern verhandelt. Faſt an allen Fen-
ſtern, faſt unter allen Thuͤren ſtieß Jemand
ein Fluch aus, wo er vorbeygieng; hie und
da brauchten boͤſe Weiber das Maul ganz,
und drohten ihm mit Miſtgabeln und Beſen.

So giengs ihm den ganzen Weg den Berg
hinauf und wieder hinunter; nur vor Lien-
hards Haus ſah man keinen Menſchen; kei-
ne Thuͤr und kein Fenſter war offen.



§. 2.
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[2/0020] bringt ihn der Henker“. Die Knaben ſchoſ- ſen ab den Mauren und Baͤumen, wo er vorbeygieng. Die Maͤdchen ſtanden bey Du- zenden Hand in Hand geſchlungen hinter den Zaͤunen, und auf den Anhoͤhen an der Seite des Wegs, und waren luſtig und freudig, und lachten ob ſeinem Spaziergang. Nicht alle lachten — Emillens Grithe ſtand am Arm ihrer Mutter unter ihrer Thuͤre, und troknete ihre Thraͤnen. Er ſah ſie, und ihr Jammerblik traf ſein Auge — Er erblaßte — Das Maͤdchen wandte ſein Angeſicht ge- gen ſeine Mutter und wainte laut. — Er hatte vor kurzem ihren Geliebten den Wer- bern verhandelt, wie man ein Stuͤk Vieh den Mezgern verhandelt. Faſt an allen Fen- ſtern, faſt unter allen Thuͤren ſtieß Jemand ein Fluch aus, wo er vorbeygieng; hie und da brauchten boͤſe Weiber das Maul ganz, und drohten ihm mit Miſtgabeln und Beſen. So giengs ihm den ganzen Weg den Berg hinauf und wieder hinunter; nur vor Lien- hards Haus ſah man keinen Menſchen; kei- ne Thuͤr und kein Fenſter war offen. §. 2.

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/20>, abgerufen am 19.04.2024.