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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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wünschte." -- Der Kriecher murrete im
weggehen noch immer, von Leuten, die ab
dem Galgen gefallen, und die lieber seyen als
er. Auf der Stegen aber wurd er still; er
stieß im ersten Augenblik, da er allein war,
so viel Brod ins Maul, daß er dem Hans,
der mit einer Tause Wasser die Stege hinauf
kam, und ihm einen guten Abend wünschte,
nicht Dank dir Gott sagen konnte. --

§. 30.
Hunds-Treu, die eine Menschen-
Empfindung veranlaßt.

So unterhielten sie sich die schlaflose Nacht,
die aber im Vorbeygang zu sagen, der
Vögtin gar nicht wohl that; ich muß aber
doch auch den Umstand, daß die ganze Nacht
ihr alter Türk zu ihren Füßen lag, nicht ver-
gessen. -- Er heulete in den ersten Tagen,
da der Vogt inn (gefangen) war, ganz ab-
scheulich vor dem Pfarrhof, so daß es der
ganzen Nachbarschaft angst war; denn ob
gleich Jedermann ihn kannte, und wußte,
warum er heulte, so thönte es doch den Leu-
ten so fürchterlich in die Ohren, daß ihrer
viele sein Geheul gar nicht für ein Alltags-
Geheul von einem Hund, der seinen Meister

such-

wuͤnſchte.“ — Der Kriecher murrete im
weggehen noch immer, von Leuten, die ab
dem Galgen gefallen, und die lieber ſeyen als
er. Auf der Stegen aber wurd er ſtill; er
ſtieß im erſten Augenblik, da er allein war,
ſo viel Brod ins Maul, daß er dem Hans,
der mit einer Tauſe Waſſer die Stege hinauf
kam, und ihm einen guten Abend wuͤnſchte,
nicht Dank dir Gott ſagen konnte. —

§. 30.
Hunds-Treu, die eine Menſchen-
Empfindung veranlaßt.

So unterhielten ſie ſich die ſchlafloſe Nacht,
die aber im Vorbeygang zu ſagen, der
Voͤgtin gar nicht wohl that; ich muß aber
doch auch den Umſtand, daß die ganze Nacht
ihr alter Tuͤrk zu ihren Fuͤßen lag, nicht ver-
geſſen. — Er heulete in den erſten Tagen,
da der Vogt inn (gefangen) war, ganz ab-
ſcheulich vor dem Pfarrhof, ſo daß es der
ganzen Nachbarſchaft angſt war; denn ob
gleich Jedermann ihn kannte, und wußte,
warum er heulte, ſo thoͤnte es doch den Leu-
ten ſo fuͤrchterlich in die Ohren, daß ihrer
viele ſein Geheul gar nicht fuͤr ein Alltags-
Geheul von einem Hund, der ſeinen Meiſter

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[116/0134] wuͤnſchte.“ — Der Kriecher murrete im weggehen noch immer, von Leuten, die ab dem Galgen gefallen, und die lieber ſeyen als er. Auf der Stegen aber wurd er ſtill; er ſtieß im erſten Augenblik, da er allein war, ſo viel Brod ins Maul, daß er dem Hans, der mit einer Tauſe Waſſer die Stege hinauf kam, und ihm einen guten Abend wuͤnſchte, nicht Dank dir Gott ſagen konnte. — §. 30. Hunds-Treu, die eine Menſchen- Empfindung veranlaßt. So unterhielten ſie ſich die ſchlafloſe Nacht, die aber im Vorbeygang zu ſagen, der Voͤgtin gar nicht wohl that; ich muß aber doch auch den Umſtand, daß die ganze Nacht ihr alter Tuͤrk zu ihren Fuͤßen lag, nicht ver- geſſen. — Er heulete in den erſten Tagen, da der Vogt inn (gefangen) war, ganz ab- ſcheulich vor dem Pfarrhof, ſo daß es der ganzen Nachbarſchaft angſt war; denn ob gleich Jedermann ihn kannte, und wußte, warum er heulte, ſo thoͤnte es doch den Leu- ten ſo fuͤrchterlich in die Ohren, daß ihrer viele ſein Geheul gar nicht fuͤr ein Alltags- Geheul von einem Hund, der ſeinen Meiſter ſuch-

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/134>, abgerufen am 23.11.2024.