Dein Kind ist ja, da ich noch da stuhnd, heraus gekommen, dir zu sagen, daß sie ge- storben.
Rudi. Es war nur eine Ohnmacht, und sie hat sich da wieder erhollt.
Vogt. Hat sie sich wieder erhollt?
Rudi. Ganz gewiß.
Vogt. So ist sie doch ob mir in Ohn- macht gefallen: Sag mir nur die Wahrheit -- ich weiß sie ja schon.
Der Rudi wußte nicht, was er sagen wollte, und sah den Pfarrer an; und dieser sagte ihm, er solle nur die Wahrheit sagen.
"So will ich dirs in Gottes Namen sa- gen, sagte der Rudi -- Ja, sie ist ob dir erschroken, weil sie meynte, du wollest Geld von mir, und wußte, das ich keins hatte."
Vogt. Darob ist sie in Ohnmacht gefal- len? Mein Gott! mein Gott! an ihrem To- destage! --
Rudi. Vergiß izt das, Vogt, und sinn an das andere: -- Jch war nicht so bald von ihr weg, und zu dir hinaus, da hat sie angefangen, mit ihr selber von dir zu reden, und deutlich und verständlich gesagt, der liebe Vater im Himmel habe es so geleitet, daß du noch so nahe vor ihrem End vor ihre Fenster kommen müßest, daß sie noch den lezten Groll überwinde, und für dich bethe.
Vogt.
G 2
Dein Kind iſt ja, da ich noch da ſtuhnd, heraus gekommen, dir zu ſagen, daß ſie ge- ſtorben.
Rudi. Es war nur eine Ohnmacht, und ſie hat ſich da wieder erhollt.
Vogt. Hat ſie ſich wieder erhollt?
Rudi. Ganz gewiß.
Vogt. So iſt ſie doch ob mir in Ohn- macht gefallen: Sag mir nur die Wahrheit — ich weiß ſie ja ſchon.
Der Rudi wußte nicht, was er ſagen wollte, und ſah den Pfarrer an; und dieſer ſagte ihm, er ſolle nur die Wahrheit ſagen.
„So will ich dirs in Gottes Namen ſa- gen, ſagte der Rudi — Ja, ſie iſt ob dir erſchroken, weil ſie meynte, du wolleſt Geld von mir, und wußte, das ich keins hatte.“
Vogt. Darob iſt ſie in Ohnmacht gefal- len? Mein Gott! mein Gott! an ihrem To- destage! —
Rudi. Vergiß izt das, Vogt, und ſinn an das andere: — Jch war nicht ſo bald von ihr weg, und zu dir hinaus, da hat ſie angefangen, mit ihr ſelber von dir zu reden, und deutlich und verſtaͤndlich geſagt, der liebe Vater im Himmel habe es ſo geleitet, daß du noch ſo nahe vor ihrem End vor ihre Fenſter kommen muͤßeſt, daß ſie noch den lezten Groll uͤberwinde, und fuͤr dich bethe.
Vogt.
G 2
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Dein Kind iſt ja, da ich noch da ſtuhnd,
heraus gekommen, dir zu ſagen, daß ſie ge-
ſtorben.
Rudi. Es war nur eine Ohnmacht, und
ſie hat ſich da wieder erhollt.
Vogt. Hat ſie ſich wieder erhollt?
Rudi. Ganz gewiß.
Vogt. So iſt ſie doch ob mir in Ohn-
macht gefallen: Sag mir nur die Wahrheit
— ich weiß ſie ja ſchon.
Der Rudi wußte nicht, was er ſagen
wollte, und ſah den Pfarrer an; und dieſer
ſagte ihm, er ſolle nur die Wahrheit ſagen.
„So will ich dirs in Gottes Namen ſa-
gen, ſagte der Rudi — Ja, ſie iſt ob dir
erſchroken, weil ſie meynte, du wolleſt Geld
von mir, und wußte, das ich keins hatte.“
Vogt. Darob iſt ſie in Ohnmacht gefal-
len? Mein Gott! mein Gott! an ihrem To-
destage! —
Rudi. Vergiß izt das, Vogt, und ſinn
an das andere: — Jch war nicht ſo bald
von ihr weg, und zu dir hinaus, da hat ſie
angefangen, mit ihr ſelber von dir zu reden,
und deutlich und verſtaͤndlich geſagt, der liebe
Vater im Himmel habe es ſo geleitet, daß
du noch ſo nahe vor ihrem End vor ihre
Fenſter kommen muͤßeſt, daß ſie noch den
lezten Groll uͤberwinde, und fuͤr dich bethe.
Vogt.
G 2
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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/117>, abgerufen am 26.06.2024.
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