"Selig, wenn hinter ihm, seinem Weib, seinem Kind, seinem Freund, seinem Knecht das Herz blutet!
"Aber wenn hinter seinem Sarg tausend Mäuler aufgehen, und weit und breit alles über ihn redt, so wandelts mich immer an, daß ich mißtrauend nachforsche, ob auch sei- nem Weib und seinem Kind das Herz blute, daß er todt ist -- und ob auch sein Freund, und sein Knecht waine, daß er nicht mehr da ist: -- Und tausendmal fand ich dann dieser aller Auge troken.
§. 24. Ein Frauenbild, aber nicht zu allgemeinem Gebrauch.
Leser! ich möchte dir dennoch ein Bild su- chen von dieser Frauen, damit sie dir leb- haft vor Augen schwebe, und ihr stilles Thun dir immer unvergeßlich bleibe.
Es ist viel, was ich sagen will: aber ich scheue mich nicht, es zu sagen.
So gehet die Sonne Gottes vom Mor- gen bis am Abend ihre Bahn; -- Dein Auge bemerkt keinen ihrer Schritte, und dein Ohr höret ihren Lauff nicht -- Aber bey ihrem Untergang weissest du, daß sie
wie-
F 4
„Selig, wenn hinter ihm, ſeinem Weib, ſeinem Kind, ſeinem Freund, ſeinem Knecht das Herz blutet!
„Aber wenn hinter ſeinem Sarg tauſend Maͤuler aufgehen, und weit und breit alles uͤber ihn redt, ſo wandelts mich immer an, daß ich mißtrauend nachforſche, ob auch ſei- nem Weib und ſeinem Kind das Herz blute, daß er todt iſt — und ob auch ſein Freund, und ſein Knecht waine, daß er nicht mehr da iſt: — Und tauſendmal fand ich dann dieſer aller Auge troken.
§. 24. Ein Frauenbild, aber nicht zu allgemeinem Gebrauch.
Leſer! ich moͤchte dir dennoch ein Bild ſu- chen von dieſer Frauen, damit ſie dir leb- haft vor Augen ſchwebe, und ihr ſtilles Thun dir immer unvergeßlich bleibe.
Es iſt viel, was ich ſagen will: aber ich ſcheue mich nicht, es zu ſagen.
So gehet die Sonne Gottes vom Mor- gen bis am Abend ihre Bahn; — Dein Auge bemerkt keinen ihrer Schritte, und dein Ohr hoͤret ihren Lauff nicht — Aber bey ihrem Untergang weiſſeſt du, daß ſie
wie-
F 4
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„Selig, wenn hinter ihm, ſeinem Weib,
ſeinem Kind, ſeinem Freund, ſeinem Knecht
das Herz blutet!
„Aber wenn hinter ſeinem Sarg tauſend
Maͤuler aufgehen, und weit und breit alles
uͤber ihn redt, ſo wandelts mich immer an,
daß ich mißtrauend nachforſche, ob auch ſei-
nem Weib und ſeinem Kind das Herz blute,
daß er todt iſt — und ob auch ſein Freund,
und ſein Knecht waine, daß er nicht mehr
da iſt: — Und tauſendmal fand ich dann
dieſer aller Auge troken.
§. 24.
Ein Frauenbild, aber nicht zu
allgemeinem Gebrauch.
Leſer! ich moͤchte dir dennoch ein Bild ſu-
chen von dieſer Frauen, damit ſie dir leb-
haft vor Augen ſchwebe, und ihr ſtilles Thun
dir immer unvergeßlich bleibe.
Es iſt viel, was ich ſagen will: aber ich
ſcheue mich nicht, es zu ſagen.
So gehet die Sonne Gottes vom Mor-
gen bis am Abend ihre Bahn; — Dein
Auge bemerkt keinen ihrer Schritte, und
dein Ohr hoͤret ihren Lauff nicht — Aber
bey ihrem Untergang weiſſeſt du, daß ſie
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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/105>, abgerufen am 23.11.2024.
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