und fanden -- und sahen -- im ganzen Hause nichts, als halbnackende Kinder -- serbende -- Hunger und Mangel athmende Geschöpfe.
Das gieng Arner von neuem an's Herz, was die Unvorsichtigkeit und die Schwäche eines Rich- ters für Elend erzeugen.
Alles, alles war vom Elend des Hauses bewegt. Da sagte Arner zu den Frauen: Dieser Rudi will jezt dem Vogt, der ihn zehn Jahre lang in dieses Elend, das ihr da seht, gestürzt hat, lebenslänglich noch den dritten Theil Heu ab seiner Matte versichern.
Man muß das nicht leiden, sagte Therese, schnell und im Eifer über dieses tiefe Elend. Nein, das ist nicht auszustehn, daß der Mann bey seinen vielen Kindern einen Heller des Seinigen dem gottlosen Buben verschenke.
Aber wolltest du, Geliebte! wolltest du dem Lauf der Tugend und der Großmuth Schranken se- tzen, die Gott durch Leiden und Elend auf diese reine Höhe gebracht hat -- auf eine Höhe, die so eben dein Herz so sehr bewegt, und zu Thränen gebracht hat? sagte Arner.
Nein, nein! das will ich nicht, versetzte Therese, das will ich nicht. Verschenk er alle seine Haabe, wenn er's kann. Einen solchen Menschen verläßt Gott nicht.
Arner sagte jezt zu dem Rudi: Gieb doch dei- nen Kindern zu essen.
Der
und fanden — und ſahen — im ganzen Hauſe nichts, als halbnackende Kinder — ſerbende — Hunger und Mangel athmende Geſchoͤpfe.
Das gieng Arner von neuem an’s Herz, was die Unvorſichtigkeit und die Schwaͤche eines Rich- ters fuͤr Elend erzeugen.
Alles, alles war vom Elend des Hauſes bewegt. Da ſagte Arner zu den Frauen: Dieſer Rudi will jezt dem Vogt, der ihn zehn Jahre lang in dieſes Elend, das ihr da ſeht, geſtuͤrzt hat, lebenslaͤnglich noch den dritten Theil Heu ab ſeiner Matte verſichern.
Man muß das nicht leiden, ſagte Thereſe, ſchnell und im Eifer uͤber dieſes tiefe Elend. Nein, das iſt nicht auszuſtehn, daß der Mann bey ſeinen vielen Kindern einen Heller des Seinigen dem gottloſen Buben verſchenke.
Aber wollteſt du, Geliebte! wollteſt du dem Lauf der Tugend und der Großmuth Schranken ſe- tzen, die Gott durch Leiden und Elend auf dieſe reine Hoͤhe gebracht hat — auf eine Hoͤhe, die ſo eben dein Herz ſo ſehr bewegt, und zu Thraͤnen gebracht hat? ſagte Arner.
Nein, nein! das will ich nicht, verſetzte Thereſe, das will ich nicht. Verſchenk er alle ſeine Haabe, wenn er’s kann. Einen ſolchen Menſchen verlaͤßt Gott nicht.
Arner ſagte jezt zu dem Rudi: Gieb doch dei- nen Kindern zu eſſen.
Der
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und fanden — und ſahen — im ganzen Hauſe nichts,
als halbnackende Kinder — ſerbende — Hunger und
Mangel athmende Geſchoͤpfe.
Das gieng Arner von neuem an’s Herz, was
die Unvorſichtigkeit und die Schwaͤche eines Rich-
ters fuͤr Elend erzeugen.
Alles, alles war vom Elend des Hauſes bewegt.
Da ſagte Arner zu den Frauen: Dieſer Rudi will
jezt dem Vogt, der ihn zehn Jahre lang in dieſes
Elend, das ihr da ſeht, geſtuͤrzt hat, lebenslaͤnglich
noch den dritten Theil Heu ab ſeiner Matte verſichern.
Man muß das nicht leiden, ſagte Thereſe, ſchnell
und im Eifer uͤber dieſes tiefe Elend. Nein, das iſt
nicht auszuſtehn, daß der Mann bey ſeinen vielen
Kindern einen Heller des Seinigen dem gottloſen
Buben verſchenke.
Aber wollteſt du, Geliebte! wollteſt du dem
Lauf der Tugend und der Großmuth Schranken ſe-
tzen, die Gott durch Leiden und Elend auf dieſe reine
Hoͤhe gebracht hat — auf eine Hoͤhe, die ſo eben
dein Herz ſo ſehr bewegt, und zu Thraͤnen gebracht
hat? ſagte Arner.
Nein, nein! das will ich nicht, verſetzte Thereſe,
das will ich nicht. Verſchenk er alle ſeine Haabe,
wenn er’s kann. Einen ſolchen Menſchen verlaͤßt
Gott nicht.
Arner ſagte jezt zu dem Rudi: Gieb doch dei-
nen Kindern zu eſſen.
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/400>, abgerufen am 22.11.2024.
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