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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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War das allemal wieder möglich -- Gertrud?
fragt Arner --

O Gnädiger Herr! wenn der Mensch sich et-
was vest vornimmt -- so ist ihm mehr möglich,
als man glaubt -- und Gott hilft im äussersten
Elend -- wenn man redlich für Noth und Brod
arbeitet -- Gnädiger Herr! mehr, als Sie es in
ihrer Herrlichkeit glauben und begreifen können.

Arner war durch und durch von der Unschuld
und von der Tugend dieses Weibes gerührt --
fragte aber immer noch mehr -- und sagte: Ger-
trud, wo hast du dieses Spargeld?

Da legte Gertrud sieben reinliche Päckgen auf
Arners Tisch -- und bey jedem Päckgen lag ein
Zedel, von wem alles wäre -- und wenn Gertrud
etwas davon genommen hatte -- so stand es aufge-
schrieben -- und wie sie es wieder zugelegt hätte.

Arner las diese Zedel aufmerksam durch --

Gertrud sah's und erröthete. Ich habe diese
Papiere wegnehmen sollen, Gnädiger Herr!

Arner lächelte -- und las fort -- aber Ger-
trud stand beschämt da, und sichtbarlich pochte ihr
Herz ob diesen Zedeln --; denn sie war beschei-
den -- und demüthig -- und grämte sich auch über
den mindesten Anschein von Eitelkeit --

Arner sah ihre Unruhe, daß sie die Zedel nicht
beyseits gelegt hatte, und er fühlte die reine Höhe
der Unschuld, die beschämt da steht, wenn ihre

Tu-

War das allemal wieder moͤglich — Gertrud?
fragt Arner —

O Gnaͤdiger Herr! wenn der Menſch ſich et-
was veſt vornimmt — ſo iſt ihm mehr moͤglich,
als man glaubt — und Gott hilft im aͤuſſerſten
Elend — wenn man redlich fuͤr Noth und Brod
arbeitet — Gnaͤdiger Herr! mehr, als Sie es in
ihrer Herrlichkeit glauben und begreifen koͤnnen.

Arner war durch und durch von der Unſchuld
und von der Tugend dieſes Weibes geruͤhrt —
fragte aber immer noch mehr — und ſagte: Ger-
trud, wo haſt du dieſes Spargeld?

Da legte Gertrud ſieben reinliche Paͤckgen auf
Arners Tiſch — und bey jedem Paͤckgen lag ein
Zedel, von wem alles waͤre — und wenn Gertrud
etwas davon genommen hatte — ſo ſtand es aufge-
ſchrieben — und wie ſie es wieder zugelegt haͤtte.

Arner las dieſe Zedel aufmerkſam durch —

Gertrud ſah’s und erroͤthete. Ich habe dieſe
Papiere wegnehmen ſollen, Gnaͤdiger Herr!

Arner laͤchelte — und las fort — aber Ger-
trud ſtand beſchaͤmt da, und ſichtbarlich pochte ihr
Herz ob dieſen Zedeln —; denn ſie war beſchei-
den — und demuͤthig — und graͤmte ſich auch uͤber
den mindeſten Anſchein von Eitelkeit —

Arner ſah ihre Unruhe, daß ſie die Zedel nicht
beyſeits gelegt hatte, und er fuͤhlte die reine Hoͤhe
der Unſchuld, die beſchaͤmt da ſteht, wenn ihre

Tu-
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[14/0037] War das allemal wieder moͤglich — Gertrud? fragt Arner — O Gnaͤdiger Herr! wenn der Menſch ſich et- was veſt vornimmt — ſo iſt ihm mehr moͤglich, als man glaubt — und Gott hilft im aͤuſſerſten Elend — wenn man redlich fuͤr Noth und Brod arbeitet — Gnaͤdiger Herr! mehr, als Sie es in ihrer Herrlichkeit glauben und begreifen koͤnnen. Arner war durch und durch von der Unſchuld und von der Tugend dieſes Weibes geruͤhrt — fragte aber immer noch mehr — und ſagte: Ger- trud, wo haſt du dieſes Spargeld? Da legte Gertrud ſieben reinliche Paͤckgen auf Arners Tiſch — und bey jedem Paͤckgen lag ein Zedel, von wem alles waͤre — und wenn Gertrud etwas davon genommen hatte — ſo ſtand es aufge- ſchrieben — und wie ſie es wieder zugelegt haͤtte. Arner las dieſe Zedel aufmerkſam durch — Gertrud ſah’s und erroͤthete. Ich habe dieſe Papiere wegnehmen ſollen, Gnaͤdiger Herr! Arner laͤchelte — und las fort — aber Ger- trud ſtand beſchaͤmt da, und ſichtbarlich pochte ihr Herz ob dieſen Zedeln —; denn ſie war beſchei- den — und demuͤthig — und graͤmte ſich auch uͤber den mindeſten Anſchein von Eitelkeit — Arner ſah ihre Unruhe, daß ſie die Zedel nicht beyſeits gelegt hatte, und er fuͤhlte die reine Hoͤhe der Unſchuld, die beſchaͤmt da ſteht, wenn ihre Tu-

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/37>, abgerufen am 28.03.2024.