für jeden Eindruck der Wahrheit und der Tugend; sie ist wie eine weiche Schreibtafel. Die Dummheit des Aberglaubens aber ist wie gegossenes Erz, keines Eindrucks fähig, als durch Feuer und Flammen. Und ich will jezt nur, Junker! da Sie von diesem Unterschiede, der mir in meinem Berufe so wichtig ist, angefangen haben, einen Augenblick davon fort- schwatzen.
Junker. Ich bitte Sie darum, Herr Pfarrer! die Sache ist mir eben so wichtig.
Pfarrer. Der Mensch in der unverdorbenen Einfalt seiner Natur, weiß wenig; aber sein Wis- sen ist in Ordnung, seine Aufmerksamkeit ist fest und stark auf das gerichtet, was ihm verständlich und brauchbar ist. Er bildet sich nichts darauf ein, etwas zu wissen, das er nicht versteht und nicht braucht. Die Dummheit des Aberglaubens aber hat keine Ordnung in ihrem Wissen; sie prahlt, das zu wissen, was sie nicht weiß und nicht ver- steht; sie masset sich an, die Unordnung ihres Wissens sey göttliche Ordnung, und der vergäng- liche Glanz ihrer Schaumblase sey göttliche Weis- heit und göttliches Licht.
Die Einfalt und die Unschuld der Natur brauchen alle Sinnen, urtheilen nicht unüberlegt, sehen al- les ruhig und bedächtlich an, dulden Widerspruch, sorgen und eifern für Bedürfniß und nicht für
Mey-
fuͤr jeden Eindruck der Wahrheit und der Tugend; ſie iſt wie eine weiche Schreibtafel. Die Dummheit des Aberglaubens aber iſt wie gegoſſenes Erz, keines Eindrucks faͤhig, als durch Feuer und Flammen. Und ich will jezt nur, Junker! da Sie von dieſem Unterſchiede, der mir in meinem Berufe ſo wichtig iſt, angefangen haben, einen Augenblick davon fort- ſchwatzen.
Junker. Ich bitte Sie darum, Herr Pfarrer! die Sache iſt mir eben ſo wichtig.
Pfarrer. Der Menſch in der unverdorbenen Einfalt ſeiner Natur, weiß wenig; aber ſein Wiſ- ſen iſt in Ordnung, ſeine Aufmerkſamkeit iſt feſt und ſtark auf das gerichtet, was ihm verſtaͤndlich und brauchbar iſt. Er bildet ſich nichts darauf ein, etwas zu wiſſen, das er nicht verſteht und nicht braucht. Die Dummheit des Aberglaubens aber hat keine Ordnung in ihrem Wiſſen; ſie prahlt, das zu wiſſen, was ſie nicht weiß und nicht ver- ſteht; ſie maſſet ſich an, die Unordnung ihres Wiſſens ſey goͤttliche Ordnung, und der vergaͤng- liche Glanz ihrer Schaumblaſe ſey goͤttliche Weis- heit und goͤttliches Licht.
Die Einfalt und die Unſchuld der Natur brauchen alle Sinnen, urtheilen nicht unuͤberlegt, ſehen al- les ruhig und bedaͤchtlich an, dulden Widerſpruch, ſorgen und eifern fuͤr Beduͤrfniß und nicht fuͤr
Mey-
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fuͤr jeden Eindruck der Wahrheit und der Tugend;
ſie iſt wie eine weiche Schreibtafel. Die Dummheit
des Aberglaubens aber iſt wie gegoſſenes Erz, keines
Eindrucks faͤhig, als durch Feuer und Flammen.
Und ich will jezt nur, Junker! da Sie von dieſem
Unterſchiede, der mir in meinem Berufe ſo wichtig
iſt, angefangen haben, einen Augenblick davon fort-
ſchwatzen.
Junker. Ich bitte Sie darum, Herr Pfarrer!
die Sache iſt mir eben ſo wichtig.
Pfarrer. Der Menſch in der unverdorbenen
Einfalt ſeiner Natur, weiß wenig; aber ſein Wiſ-
ſen iſt in Ordnung, ſeine Aufmerkſamkeit iſt feſt
und ſtark auf das gerichtet, was ihm verſtaͤndlich
und brauchbar iſt. Er bildet ſich nichts darauf ein,
etwas zu wiſſen, das er nicht verſteht und nicht
braucht. Die Dummheit des Aberglaubens aber
hat keine Ordnung in ihrem Wiſſen; ſie prahlt,
das zu wiſſen, was ſie nicht weiß und nicht ver-
ſteht; ſie maſſet ſich an, die Unordnung ihres
Wiſſens ſey goͤttliche Ordnung, und der vergaͤng-
liche Glanz ihrer Schaumblaſe ſey goͤttliche Weis-
heit und goͤttliches Licht.
Die Einfalt und die Unſchuld der Natur brauchen
alle Sinnen, urtheilen nicht unuͤberlegt, ſehen al-
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/363>, abgerufen am 22.11.2024.
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