Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Wüst. O Herr Pfarrer! das ist alles nichts
gegen dem Schrecken der Verzweiflung und gegen der
Furcht, daß einem Gott in der Ewigkeit nicht
mehr gnädig seyn werde.

Pfarrer. Du siebst die Sache in deinem Un-
glück so redlich und vernünftig an, daß ich wahre
Fr[eu]de daran habe. Bitte den lieben Gott, der dir
so viel gute Gedanken und so viel Stärke zu guten
und rechtschaffenen Entschlüssen gegeben hat, daß er
diese Gnade dir ferner schenken wolle; so bist du auf
einem recht guten Weg, und wirst, will's Gott! al-
les, was auf dich wartet, mit Demuth und mit Ge-
dult leicht ertragen können. Und was dir immer
begegnen wird, so zeige mir dein Zutrauen ferner;
ich will dich gewiß nie verlassen.

Wüst. Ach Gott! Herr Pfarrer! wie ihr auch
so gut und liebreich seyd, mit einem so schweren
Sünder!

Pfarrer. Gott selber ist in seinem Thun gegen
uns arme Menschen nur Schonung und Liebe; und
ich würde wohl ein unglücklicher Knecht meines gu-
ten Gottes und Herrn seyn, wenn ich, in welchem
Fall es immer wäre, mit einem meiner fehlenden
Mitknechte zankte, haderte und schmählte.

So väterlich redte der Pfarrer mit dem Wüst,
der vor ihm in Thränen zerfloß, und jezt lang nichts
sagte.

Der Pfarrer schwieg auch eine Weile.

Der

Wuͤſt. O Herr Pfarrer! das iſt alles nichts
gegen dem Schrecken der Verzweiflung und gegen der
Furcht, daß einem Gott in der Ewigkeit nicht
mehr gnaͤdig ſeyn werde.

Pfarrer. Du ſiebſt die Sache in deinem Un-
gluͤck ſo redlich und vernuͤnftig an, daß ich wahre
Fr[eu]de daran habe. Bitte den lieben Gott, der dir
ſo viel gute Gedanken und ſo viel Staͤrke zu guten
und rechtſchaffenen Entſchluͤſſen gegeben hat, daß er
dieſe Gnade dir ferner ſchenken wolle; ſo biſt du auf
einem recht guten Weg, und wirſt, will’s Gott! al-
les, was auf dich wartet, mit Demuth und mit Ge-
dult leicht ertragen koͤnnen. Und was dir immer
begegnen wird, ſo zeige mir dein Zutrauen ferner;
ich will dich gewiß nie verlaſſen.

Wuͤſt. Ach Gott! Herr Pfarrer! wie ihr auch
ſo gut und liebreich ſeyd, mit einem ſo ſchweren
Suͤnder!

Pfarrer. Gott ſelber iſt in ſeinem Thun gegen
uns arme Menſchen nur Schonung und Liebe; und
ich wuͤrde wohl ein ungluͤcklicher Knecht meines gu-
ten Gottes und Herrn ſeyn, wenn ich, in welchem
Fall es immer waͤre, mit einem meiner fehlenden
Mitknechte zankte, haderte und ſchmaͤhlte.

So vaͤterlich redte der Pfarrer mit dem Wuͤſt,
der vor ihm in Thraͤnen zerfloß, und jezt lang nichts
ſagte.

Der Pfarrer ſchwieg auch eine Weile.

Der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0303" n="278"/>
          <p><hi rendition="#fr">Wu&#x0364;&#x017F;t.</hi> O Herr Pfarrer! das i&#x017F;t alles nichts<lb/>
gegen dem Schrecken der Verzweiflung und gegen der<lb/>
Furcht, daß einem Gott in der Ewigkeit nicht<lb/>
mehr gna&#x0364;dig &#x017F;eyn werde.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Pfarrer.</hi> Du &#x017F;ieb&#x017F;t die Sache in deinem Un-<lb/>
glu&#x0364;ck &#x017F;o redlich und vernu&#x0364;nftig an, daß ich wahre<lb/>
Fr<supplied>eu</supplied>de daran habe. Bitte den lieben Gott, der dir<lb/>
&#x017F;o viel gute Gedanken und &#x017F;o viel Sta&#x0364;rke zu guten<lb/>
und recht&#x017F;chaffenen Ent&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en gegeben hat, daß er<lb/>
die&#x017F;e Gnade dir ferner &#x017F;chenken wolle; &#x017F;o bi&#x017F;t du auf<lb/>
einem recht guten Weg, und wir&#x017F;t, will&#x2019;s Gott! al-<lb/>
les, was auf dich wartet, mit Demuth und mit Ge-<lb/>
dult leicht ertragen ko&#x0364;nnen. Und was dir immer<lb/>
begegnen wird, &#x017F;o zeige mir dein Zutrauen ferner;<lb/>
ich will dich gewiß nie verla&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Wu&#x0364;&#x017F;t.</hi> Ach Gott! Herr Pfarrer! wie ihr auch<lb/>
&#x017F;o gut und liebreich &#x017F;eyd, mit einem &#x017F;o &#x017F;chweren<lb/>
Su&#x0364;nder!</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Pfarrer.</hi> Gott &#x017F;elber i&#x017F;t in &#x017F;einem Thun gegen<lb/>
uns arme Men&#x017F;chen nur Schonung und Liebe; und<lb/>
ich wu&#x0364;rde wohl ein unglu&#x0364;cklicher Knecht meines gu-<lb/>
ten Gottes und Herrn &#x017F;eyn, wenn ich, in welchem<lb/>
Fall es immer wa&#x0364;re, mit einem meiner fehlenden<lb/>
Mitknechte zankte, haderte und &#x017F;chma&#x0364;hlte.</p><lb/>
          <p>So va&#x0364;terlich redte der Pfarrer mit dem Wu&#x0364;&#x017F;t,<lb/>
der vor ihm in Thra&#x0364;nen zerfloß, und jezt lang nichts<lb/>
&#x017F;agte.</p><lb/>
          <p>Der Pfarrer &#x017F;chwieg auch eine Weile.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278/0303] Wuͤſt. O Herr Pfarrer! das iſt alles nichts gegen dem Schrecken der Verzweiflung und gegen der Furcht, daß einem Gott in der Ewigkeit nicht mehr gnaͤdig ſeyn werde. Pfarrer. Du ſiebſt die Sache in deinem Un- gluͤck ſo redlich und vernuͤnftig an, daß ich wahre Freude daran habe. Bitte den lieben Gott, der dir ſo viel gute Gedanken und ſo viel Staͤrke zu guten und rechtſchaffenen Entſchluͤſſen gegeben hat, daß er dieſe Gnade dir ferner ſchenken wolle; ſo biſt du auf einem recht guten Weg, und wirſt, will’s Gott! al- les, was auf dich wartet, mit Demuth und mit Ge- dult leicht ertragen koͤnnen. Und was dir immer begegnen wird, ſo zeige mir dein Zutrauen ferner; ich will dich gewiß nie verlaſſen. Wuͤſt. Ach Gott! Herr Pfarrer! wie ihr auch ſo gut und liebreich ſeyd, mit einem ſo ſchweren Suͤnder! Pfarrer. Gott ſelber iſt in ſeinem Thun gegen uns arme Menſchen nur Schonung und Liebe; und ich wuͤrde wohl ein ungluͤcklicher Knecht meines gu- ten Gottes und Herrn ſeyn, wenn ich, in welchem Fall es immer waͤre, mit einem meiner fehlenden Mitknechte zankte, haderte und ſchmaͤhlte. So vaͤterlich redte der Pfarrer mit dem Wuͤſt, der vor ihm in Thraͤnen zerfloß, und jezt lang nichts ſagte. Der Pfarrer ſchwieg auch eine Weile. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/303
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/303>, abgerufen am 18.05.2024.