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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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ihr hier? Ihr, die ihr morgen wieder wie gestern
den Armen drücken und drängen werdet! was thut
ihr hier? Wollet ihr das Brod des Herrn essen,
und seinen Kelch trinken, und sagen: daß ihr ein
Leib und ein Herz, ein Geist und eine Seele mit
euern Brüdern seyd?

Verlasset doch diese Vorhöfe, und meidet das
Mahl der Liebe! Bleibet, bleibet von hinnen --
daß der Arme nicht beym Mahl des Herrn über eu-
erm Anblick erblasse, und daß er in der Stunde seiner
Erquickung nicht denken müsse, ihr werdet ihn mor-
gen erwürgen. Gönnet, ach! gönnet ihm doch diese
Stunde des Friedens, daß er Ruhe habe vor euch,
und euch nicht sehe.

Denn der Arme zittert vor euch, und dem
Waisen klopfet das Herz, wo ihr um den Weg
seyd.

Aber warum rede ich mit euch? Ich ver-
schwende umsonst meine Worte. Ihr geht nicht
von da weg, wo ihr Menschen kränken könnet; wo
ihr sie vor euch zitternd und angstvoll sehet, da ist
euch wohl, und ihr meynet, es müsse, wie ihr,
Niemand Ruhe haben in seinem Herzen.

Aber ihr irret euch; siehe, ich wende mich von
euch weg, als ob ihr nicht da wäret.

Und ihr Arme und Gedrückte in meiner Ge-
meinde, wendet euch von ihnen weg, als ob ihr sie
nicht sähet, als ob sie nicht da wären.

Der

ihr hier? Ihr, die ihr morgen wieder wie geſtern
den Armen druͤcken und draͤngen werdet! was thut
ihr hier? Wollet ihr das Brod des Herrn eſſen,
und ſeinen Kelch trinken, und ſagen: daß ihr ein
Leib und ein Herz, ein Geiſt und eine Seele mit
euern Bruͤdern ſeyd?

Verlaſſet doch dieſe Vorhoͤfe, und meidet das
Mahl der Liebe! Bleibet, bleibet von hinnen —
daß der Arme nicht beym Mahl des Herrn uͤber eu-
erm Anblick erblaſſe, und daß er in der Stunde ſeiner
Erquickung nicht denken muͤſſe, ihr werdet ihn mor-
gen erwuͤrgen. Goͤnnet, ach! goͤnnet ihm doch dieſe
Stunde des Friedens, daß er Ruhe habe vor euch,
und euch nicht ſehe.

Denn der Arme zittert vor euch, und dem
Waiſen klopfet das Herz, wo ihr um den Weg
ſeyd.

Aber warum rede ich mit euch? Ich ver-
ſchwende umſonſt meine Worte. Ihr geht nicht
von da weg, wo ihr Menſchen kraͤnken koͤnnet; wo
ihr ſie vor euch zitternd und angſtvoll ſehet, da iſt
euch wohl, und ihr meynet, es muͤſſe, wie ihr,
Niemand Ruhe haben in ſeinem Herzen.

Aber ihr irret euch; ſiehe, ich wende mich von
euch weg, als ob ihr nicht da waͤret.

Und ihr Arme und Gedruͤckte in meiner Ge-
meinde, wendet euch von ihnen weg, als ob ihr ſie
nicht ſaͤhet, als ob ſie nicht da waͤren.

Der
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[200/0225] ihr hier? Ihr, die ihr morgen wieder wie geſtern den Armen druͤcken und draͤngen werdet! was thut ihr hier? Wollet ihr das Brod des Herrn eſſen, und ſeinen Kelch trinken, und ſagen: daß ihr ein Leib und ein Herz, ein Geiſt und eine Seele mit euern Bruͤdern ſeyd? Verlaſſet doch dieſe Vorhoͤfe, und meidet das Mahl der Liebe! Bleibet, bleibet von hinnen — daß der Arme nicht beym Mahl des Herrn uͤber eu- erm Anblick erblaſſe, und daß er in der Stunde ſeiner Erquickung nicht denken muͤſſe, ihr werdet ihn mor- gen erwuͤrgen. Goͤnnet, ach! goͤnnet ihm doch dieſe Stunde des Friedens, daß er Ruhe habe vor euch, und euch nicht ſehe. Denn der Arme zittert vor euch, und dem Waiſen klopfet das Herz, wo ihr um den Weg ſeyd. Aber warum rede ich mit euch? Ich ver- ſchwende umſonſt meine Worte. Ihr geht nicht von da weg, wo ihr Menſchen kraͤnken koͤnnet; wo ihr ſie vor euch zitternd und angſtvoll ſehet, da iſt euch wohl, und ihr meynet, es muͤſſe, wie ihr, Niemand Ruhe haben in ſeinem Herzen. Aber ihr irret euch; ſiehe, ich wende mich von euch weg, als ob ihr nicht da waͤret. Und ihr Arme und Gedruͤckte in meiner Ge- meinde, wendet euch von ihnen weg, als ob ihr ſie nicht ſaͤhet, als ob ſie nicht da waͤren. Der

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/225>, abgerufen am 21.11.2024.