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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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gerade zu? Ich kann und will dir ja das gern
geben.

Rudi. Wirst du mir, ach mein Gott! nach
allem, was vorgefallen ist, auch glauben, daß ich
dir es unversehrt und mit Dank wieder zurück ge-
ben werde?

Lienhard. Schweig doch hievon, Rudi! Ich
glaub dir noch mehr als das; aber dein Elend und
deine Noth haben dich zu ängstlich gemacht.

Gertrud. Ja, Rudi! Trau auf Gott und
Menschen, so wird dir durchaus leichter ums Herz
werden, und du wirst dir in allen Umständen bes-
ser helfen können.

Rudi. Ja, Gertrud! Ich sollte wohl meinem
Vater im Himmel mehr trauen, und euch kann ich
nicht genug danken.

Lienhard. Rede nicht hievon, Rudi!

Gertrud. Ich möchte deine Mutter noch sehen.

Sie gehn mit einer schwachen Lampe an ihr
Bett -- und Gertrud und Lienhard und der Rudi
und der Kleine, alle mit Thränen in den Augen --
staunen in tiefem stillen Schweigen eine Weile sie
an, decken sie dann wieder zu, und nehmen fast ohne
Worte herzlich Abschied von einander.

Und im Heimgehn sagte Lienhard zu Gertrud:
Es geht mir an's Herz, welche Tiefe des Elends!
Nicht mehr in die Kirche gehn können, nicht mehr um
Arbeit bitten, nicht mehr dafür danken können, weil

man

gerade zu? Ich kann und will dir ja das gern
geben.

Rudi. Wirſt du mir, ach mein Gott! nach
allem, was vorgefallen iſt, auch glauben, daß ich
dir es unverſehrt und mit Dank wieder zuruͤck ge-
ben werde?

Lienhard. Schweig doch hievon, Rudi! Ich
glaub dir noch mehr als das; aber dein Elend und
deine Noth haben dich zu aͤngſtlich gemacht.

Gertrud. Ja, Rudi! Trau auf Gott und
Menſchen, ſo wird dir durchaus leichter ums Herz
werden, und du wirſt dir in allen Umſtaͤnden beſ-
ſer helfen koͤnnen.

Rudi. Ja, Gertrud! Ich ſollte wohl meinem
Vater im Himmel mehr trauen, und euch kann ich
nicht genug danken.

Lienhard. Rede nicht hievon, Rudi!

Gertrud. Ich moͤchte deine Mutter noch ſehen.

Sie gehn mit einer ſchwachen Lampe an ihr
Bett — und Gertrud und Lienhard und der Rudi
und der Kleine, alle mit Thraͤnen in den Augen —
ſtaunen in tiefem ſtillen Schweigen eine Weile ſie
an, decken ſie dann wieder zu, und nehmen faſt ohne
Worte herzlich Abſchied von einander.

Und im Heimgehn ſagte Lienhard zu Gertrud:
Es geht mir an’s Herz, welche Tiefe des Elends!
Nicht mehr in die Kirche gehn koͤnnen, nicht mehr um
Arbeit bitten, nicht mehr dafuͤr danken koͤnnen, weil

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[191/0216] gerade zu? Ich kann und will dir ja das gern geben. Rudi. Wirſt du mir, ach mein Gott! nach allem, was vorgefallen iſt, auch glauben, daß ich dir es unverſehrt und mit Dank wieder zuruͤck ge- ben werde? Lienhard. Schweig doch hievon, Rudi! Ich glaub dir noch mehr als das; aber dein Elend und deine Noth haben dich zu aͤngſtlich gemacht. Gertrud. Ja, Rudi! Trau auf Gott und Menſchen, ſo wird dir durchaus leichter ums Herz werden, und du wirſt dir in allen Umſtaͤnden beſ- ſer helfen koͤnnen. Rudi. Ja, Gertrud! Ich ſollte wohl meinem Vater im Himmel mehr trauen, und euch kann ich nicht genug danken. Lienhard. Rede nicht hievon, Rudi! Gertrud. Ich moͤchte deine Mutter noch ſehen. Sie gehn mit einer ſchwachen Lampe an ihr Bett — und Gertrud und Lienhard und der Rudi und der Kleine, alle mit Thraͤnen in den Augen — ſtaunen in tiefem ſtillen Schweigen eine Weile ſie an, decken ſie dann wieder zu, und nehmen faſt ohne Worte herzlich Abſchied von einander. Und im Heimgehn ſagte Lienhard zu Gertrud: Es geht mir an’s Herz, welche Tiefe des Elends! Nicht mehr in die Kirche gehn koͤnnen, nicht mehr um Arbeit bitten, nicht mehr dafuͤr danken koͤnnen, weil man

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/216>, abgerufen am 21.11.2024.